Marianne Betz

Ich würde gerne zu Ihrer Person starten und um Geburtsjahr und Geburtsort bitten.

Marianne Betz: 1959 in Wiesbaden.

Sie leben in Linz?

Marianne Betz: Ja, seit September 2007.

Welche kunst- und kulturbezogenen Funktionen üben Sie derzeit aus?

Marianne Betz: Ich bin Rektorin der Anton Bruckner Privatuniversität, einer Universität für Musik, Schauspiel und Tanz.

Gibt es irgendwelche Funktionen in Gremien oder Jurys, die nennenswert wären?

Marianne Betz: Punktuell, insofern ich in meiner Funktion in entsprechende Gremien des Landes eingebunden werde. Und ich bin Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Privatuniversitäten, aber das würde ich jetzt weniger im kulturellen Bereich angesiedelt sehen.

Zur Einrichtung stelle ich nur eine Frage, die mich besonders interessiert. Auf welche Zielgruppen zielt die Arbeit der Anton Bruckner Privatuniversität ab, und zwar abseits der Studentinnen und Studenten? Ich nehme die Anton Bruckner Privatuniversität auch immer wieder in veranstaltenden und projektiven Zusammenhängen wahr.

Marianne Betz: Also wir haben eine klare Zielgruppe. Das sind hochbegabte junge Menschen in den bei uns vertretenen, künstlerischen Fächern, die eine Professionalisierung suchen und die ein Studium bei uns nach einer Aufnahmeprüfung beginnen können. Das ist zunächst einmal die eine Antwort, die andere ist, dass das, was wir als Veranstaltungsprogramm anbieten der Blick in die Werkstatt ist, wenn man so will. Wir zielen schon darauf ab – weil ja viele der Studierenden aus der Stadt, aus der Region kommen – einfach gut hier verankert zu sein. Eine Universität gehört auch in ihren Kontext hinein, das heißt, wir freuen uns, wenn nicht nur Eltern und Verwandte rege Anteil nehmen an dem, was bei uns im Haus passiert, sondern auch unsere Umwelt, unsere direkten Nachbarn, kulturbegeisterte, musikaffine Menschen den Weg zu uns suchen, um so den Werdegang unserer Studierenden mit zu verfolgen oder Stationen, die es darauf zu beobachten gibt. Wenn wir Künstler von außen gelegentlich haben, dann sind die normalerweise bei uns mit Workshops tätig. Das heißt, es gibt immer eine Verbindung zum Lehrbereich und das heißt, man nimmt auch etwas wahr, was direkt mit der Lehre zu tun hat.

Dann würde ich gleich zum Hauptblock des Interviews kommen. Es geht um die kulturelle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Linz. Wenn irgendwo „Kulturstadt Linz“ stehen würde, was würden Sie frei damit assoziieren?

Marianne Betz: Gestern und heute. Ich bin Historikerin, bei Gestern denke ich an die Nazizeit. Wenn man von außerhalb von Linz kommt, dann ist das eine der Assoziationen, noch dazu wenn man aus der Musik kommt. Beim Heute wäre ich etwas großzügiger. Da würde ich schon noch das Kulturhauptstadtjahr und die Nachwirkung mit hinein nehmen, als einen engagierten Versuch, mit vielem, was gelungen ist, eine Stadt, die einen anderen Akzent, nämlich den auf der Industrie lange Zeit hatte, hier eine Akzentverschiebung zu versuchen, das Kultur und damit auch Bildung sehr viel stärker in den Vordergrund rückt.

Wenn wir auf das nähere Gestern kurz zu sprechen kommen und die letzten zehn Jahre betrachten, oder sei es auch nur die letzten drei Jahre. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, was besonders gut in der kulturellen Entwicklung dieser Stadt gelaufen ist?

Marianne Betz: Was augenfällig ist, ist die architektonische Entwicklung. Dass es den Mut gibt, neue Gebäude zu etablieren, die zum großen Teil mit Kultur zu tun haben. Eine meiner ersten Erfahrungen war hier, nach einer Woche Amtszeit, die Einweihung des Wissensturmes. Aus einem Land kommend, in dem es zwar viele Bücher gibt, aber Stadtbibliotheken geschlossen werden aus Kapazitäts- und Ressourcengründen. Und das finde ich gute Signale, die man setzt, wenn Kultureinrichtungen sich auch architektonisch widerspiegeln und wenn diese Architekturen dann noch zum kulturellen und künstlerischen Diskurs mit beitragen ist das eine sehr gute Erfahrung, das ist Kultur. Was das Leben als solches angeht, ist mein Blick natürlich auf die Musik fokussiert, das ist mein eigener professioneller Bereich. Wir haben hier ein reges und belebtes Musikleben. Ich nehme den Theaterbereich, den Musiktheater-Bereich mit hinein, der durch das Kulturhauptstadtjahr eine ganze Reihe von Impulsen, glückliche und weniger glückliche, bekommen hat. Das will ich jetzt gar nicht tangieren. Ich kann das nur so sehen, in Richtung Entwicklung. Ich glaube, dass man sehr viel dazu tun muss, dass die Musikstadt Linz oder das Musikland Oberösterreich eines ist, das viele Bevölkerungsschichten und viele Altersgruppen nicht nur anspricht, sondern ins Boot, in die Identifikation holt.

Und gibt es irgendwelche kulturellen Entwicklungen der letzten Jahre, die ihnen genauso augenscheinlich sind, mit denen Sie überhaupt nicht zufrieden sind in der Stadt?

Marianne Betz: Da muss ich glaube ich passen, weil ich mir in manchem noch kein Urteil anmaße, dafür sind drei Jahre zu kurz.

Wenn wir den Blick über Linz hinaus schweifen lassen und einen Städtevergleich wagen. Es ist vermessen, Linz zu vergleichen mit Wien oder anderen Großstädten, aber mit ähnlich großen Städten, sei es jetzt in Österreich mit Salzburg, Innsbruck oder Graz, oder mit deutschen Städten, die in etwa gleich groß sind: Wo würden Sie sagen, kann Linz in kultureller Hinsicht punkten? ist es nur die Ars Electronica in diesem Vergleich? Oder ist es mehr?

Marianne Betz: Das hängt davon ab, welche Städte man nimmt. Wenn man an österreichische Städte denkt … österreichische Städte haben im Gegensatz zu deutschen Städten in den meisten Fällen den Vorteil, dass sich Kultur schon über das Stadtbild widerspiegelt. Kultur und Historie. Also ein historisches Bauwerk ist auch ein Kulturdenkmal. Und sehr häufig sind diese Räume – was bei uns einfach nicht geht, in Deutschland, weil wir die Räume und die Häuser nicht mehr haben – dann auch noch als Kulturstätten bespielt, das heißt sie werden lebendig, egal in welcher Form von Kultur und Kunst. Insofern ist der Vergleich wirklich schwer zu fällen. Ich kann ihn jetzt nur eingeengt auf die Musik anbringen. Ich denke, Linz kann damit punkten, dass es rege ist, wird aber anderen gewachsenen Universitätsstädten gegenüber noch mehr tun müssen, um einfach auch dieses universitär-kulturelle in den Vordergrund zu rücken. Das hängt damit zusammen, dass die Institutionen sehr weit verstreut sind und dass kaum etwas gibt, was richtig mitten in der Stadt, so aus dem Zentrum heraus wirksam werden kann. Das ist sicherlich ein Problem, das ist in Freiburg anders. Freiburg ist etwa so groß wie Linz, ist aber wirklich eine Kulturstadt, eine Musikstadt, und das wird gelebt. Auch durch die Studierenden hindurch. Für Studierende, die an die Universität zum Medizin-, zum Jura-, zum Lehramtsstudium, zum Naturwissenschaftsstudium kommen, liegt es oft sehr nahe, in ein Orchester zu gehen, Konzerte zu besuchen, Festivals mitzumachen. Das gehört zur Stadt dazu und ich glaube, da muss man irgendwie hinkommen. Das ist ein weiter Weg, ist ein schwieriger Weg.

Können Sie noch etwas zu dem angesprochenen Verstreuten in der Stadt sagen?

Marianne Betz: Ja, das kann man nicht ändern, solche Strukturen kann man nicht ändern, genauso wenig, wie man in einer deutschen Stadt, in der alles zerstört ist, das historische Stadtbild von Salzburg oder Innsbruck rekonstruieren könnte, das funktioniert nicht. Genauso wenig wird man in Linz diese Struktur mit dem Zentrum, was eben anders ist, reparieren können. Ich könnte es nur als ein Ziel formulieren, dass man den hohen Anteil studentischer Bevölkerung, also junger Leute, versucht, zu einem kulturaffinen Teil der Bevölkerung werden zu lassen, auch zu einem musikaffinen Teil der Bevölkerung. Sehr auffällig ist, dass ein großer Teil des Konzertlebens fast keine jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörer hat, ähnlich das Theater.

Inwieweit denken Sie, dass Linz international überhaupt als Kulturstadt wahrgenommen wird? Beschränkt sich das nur auf einige wenige Disziplinen oder Bereiche? Ist es bis nach Wiesbaden durchgedrungen?

Marianne Betz: Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich mache ja in Wiesbaden keine Stadterhebung. Das Kulturhauptstadtjahr hat sicherlich etwas dazu beigetragen, weil man das einfach für das Marketing eines solchen Images benutzen konnte und benutzt hat. Andererseits – welche Stadt wäre keine Kulturstadt? Jede Stadt kann eine Kulturstadt sein oder auch keine sein. Der Grad an Aktivität, den man hier spürt, ist hoch, er muss vielleicht in manchen Bereichen zielgerichteter sein. Ich glaube, das ist ein Thema, das sehr mit dem Image zu tun hat, mit Marketing und Image. Wenn man an das Image von österreichischen Städten denkt, Salzburg, Innsbruck, dann hängt das mit anderen Dingen zusammen. Ob Salzburg will oder nicht, es ist vom Namen Mozart nicht trennbar. Das ist manchmal nicht unbedingt ein Segen. Aber egal, was ansonsten an Aktivitäten in dieser Stadt stattfinden, es ist damit verbunden. So gibt es andere Orte auch, das kann man natürlich für Linz … Linz und Bruckner ist dann doch zu weit als Achse, als dass es so direkt … und es lässt sich auch nicht in Legendenbildung ummünzen, dass es so einschlägig funktionieren würde, wie das für bestimmte Orte funktioniert.

Können Sie ein Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten geben? Was war Linz09 für Sie? Sie haben vorher bereits gesagt, dass Linz09 ein engagierter Versuch war. Was war Linz09 noch?

Marianne Betz: Wobei Versuch nichts abwertendes hat, weil ich glaube, solche Unterfangen sind immer ambitioniert und man muss wahrscheinlich – egal wie ein Konzept oder eine Dramaturgie aussieht – davon ausgehen, dass nur ein Teil dessen, was man sich vornimmt, gelingt. Ich kann da viel zu wenig beurteilen, weil ich die Vorplanung nicht so mitbekommen habe und da der Ausschnitt jetzt zu punktuell ist. Aber ich glaube, eine solche Aktion über ein ganzes Jahr zu veranstalten und die Bevölkerung in einen Identifikations-Prozess damit zu bringen, das ist ein sehr hoch gehängtes Unterfangen, das ist sehr kompliziert. Das war meine Beobachtung, dass das nicht in allen Teilen gelingt, aber ich würde sagen das gelingt wahrscheinlich fast nie irgendwo. Also Linz09 war ein engagierter Versuch, aber in einem positiven Sinne. Linz09 war auch viel Musik und Entdeckungen, Entdeckungen in der Musik, auch in anderen Bereichen, Entdeckungen, die man mitteilbar und wahrnehmbar für andere gemacht hat. Es gab viele Programme, die es sonst so vielleicht nicht gegeben hätte. Und Linz09 ist natürlich auch Anstoß, hoffentlich Anstoß, für weitere kulturelle Initiativen, sei es in etablierten Gebieten, also wenn wir von Musiktheater und Musik sprechen, in meinen Bereichen, oder auf weniger betretenen Pfaden. Es gibt ja auch eine ganze Reihe anderer kultureller Erfahrungen, die man in den Vordergrund gestellt hat.

Merken Sie, wie Linz09 weiter wirkt in der Stadt? Oder ist es noch zu nah?

Marianne Betz: Vielleicht bekomme ich davon zu wenig mit, dazu bin ich zu sehr an die Bruckneruniversität gebunden. Ich weiß, dass es einige Projekte gibt, die weiter gehen und weiter ziehen. Ich glaube, im Bereich der Musik ist es nicht so, dass jetzt dadurch die ganz großen Anstöße gekommen wären. Es ist jetzt nicht so, dass es doppelt so viele Konzerte gibt wie vorher, weil das gab es auch schon vorher. Es gab programm- und inhaltsorientierte Anstöße, das fand ich auch sehr gut. Zum Beispiel eine Uraufführung in einem Landestheater gibt es nicht immer, noch dazu eine international so namhafte. Dass man immer über alles streiten kann, ist keine Frage, aber trotzdem, das ist etwas Punktuelles. Auch wir waren beteiligt (Linz09), mit einem Programm zu verfemter Musik, eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Rolle von Musik in dieser Zeit und das ganz konkret in Linz. Das wiederholt man auch nicht, aber das gibt einen Anstoß und regt zum Nachdenken vielleicht für weitere Arbeiten oder Forschungen an.

Wie schätzen Sie den Stellenwert von Hochkultur, von Subkultur und von Volkskultur in Linz ein?

Marianne Betz: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht in allen drei Bereichen eine gewachsene Erfahrung habe in der Zeit, in der ich hier bin. Das muss man länger beobachten, also das wäre jetzt vermessen.

Wenn Sie einzelne künstlerische Disziplinen betrachten, von Tanz, Theater, Musik über Literatur, darstellende Künste genauso wie bildende Künste, Medienkunst, ein Kaleidoskop sich vor Augen führen. Jetzt könnte man, wenn man Linz betrachtet, sagen, dass überall Entwicklungspotenzial vorhanden wäre, mehr oder weniger. Gibt es aber Ihrer Meinung nach irgendwelche Disziplinen, wo Sie sagen würden, aus Ihrer Erfahrung heraus, dass hier besonderes Entwicklungspotenzial vorhanden ist?

Marianne Betz: Ja, in der Musik. Ich kann jetzt nicht sagen, in allen Facetten. Zum Bereich Volksmusik kann ich mich nicht äußern, aber im Bereich der Musik sicherlich. Das hat jetzt nichts Egoistisches an sich, aber ich glaube, der Blick von außen würde mit meinem Fachblick klar machen: Hier ist eine junge Universität, die gerade in einer der vielleicht entscheidendsten Phasen ihrer Entwicklung ist, nämlich sich zu professionalisieren, da ist ungeahntes Potenzial drin. Es gibt hier ein großes Orchester, es gibt hier ein Drei-Sparten-Landestheater, Kooperationen zwischen diesen Bereichen mit so vielen jungen Leuten, die hier her kommen und die zunehmend auch international durchmischt sind. Das ist ein riesiges Entwicklungspotenzial. Dazu gehört auch für mich, dass eine Jazz-Szene hier in der Stadt noch mehr Entwicklungspotenzial hätte. Vielleicht wäre das vielleicht etwas, was die Idee der Universitätsstadt besser zum Ausdruck bringen könnte. Ich subsumiere jetzt den Theaterbereich, den Musiktheaterbereich und den Tanzbereich. Ich kann das jetzt weniger gut zum bildnerischen Bereich sagen. Da würde ich wieder längere Zeit der Beobachtung brauchen. Hier bin ich einfach stärker durch Vorbildung involviert.

Wenn man aktuelle Diskussionen in der Stadt verfolgt, vor allem im Bereich der darstellenden Kunst, dann ist sehr viel davon zu hören, dass es insbesondere im Off-Bereich Entwicklungspotenzial gibt, in der freien Theaterszene. Wie ist das aus Ihrer Sicht? Geht es für Sie stärker um den institutionalisierten Bereich, wo Sie das Potenzial sehen, oder sehen Sie auch Potenziale in diesem Off-Bereich?

Marianne Betz: Ich sehe beide Bereiche. Die Bereiche existieren nicht getrennt voneinander, sondern da gibt es eine ganze Reihe von Interaktionen. An einem Ort, an dem eine rege Off-Kultur im darstellenden Bereich, im Schauspielerischen vorhanden ist, gibt es eine genauso rege Interaktion dann mit dem On-Bereich. Das gehört zueinander. Das heißt, das eine wird vom anderen auch profitieren. Da denke ich jetzt nicht an das Image, sondern ich denke daran, wie Kunst nicht nur an die Bevölkerung herangebracht wird, sondern wie sie gelebt wird von einer Stadt. Nicht als etwas Abgesetztes, Präsentiertes, sondern als etwas Integriertes im städtischen Gefüge, im Kulturleben von Menschen, die diesen Teil als etwas nicht nur Selbstverständliches sondern Essenzielles ihres Lebens ansehen. Und da gehören beide Teile dazu. Platt gesagt, wer zu einer Off-Bühne geht, der geht auch ins Landestheater. Es wird vielleicht geschmackliche Unterschiede gelegentlich geben, aber eigentlich müsste sich das sehr stark befruchten.

Wenn wir das noch weiter denken und uns von den Disziplinen weg bewegen in Richtung kulturelle Themen oder Themenschwerpunkte. Welche kulturellen Themenschwerpunkte wären es Ihrer Meinung nach, welche die Stadt in Zukunft vor die größten Herausforderungen stellen?

Marianne Betz: Ich glaube, was nicht nur in Linz sondern in der Welt ein riesiges Thema ist, ist die Frage der Interkulturalität, des nicht aufhörenden, konstruktiven, interkulturellen Dialogs. Das ist ein Thema, das ein kulturelles Thema sein kann, was durch Kultur zum Ausdruck kommt oder durch Kultur gefördert werden kann. Ich glaube, das ist in einer Welt, in der die Migrationen nicht mehr aufhöre, und wo sie uns durch die Bildschirme immer wieder vorgespiegelt werden, die Bilder aus Lampedusa oder sonst wo, gerade auch durch die Ereignisse der letzten Wochen und Monate, einfach ein riesiges Thema, der Auseinandersetzung in der Welt aber gerade auch in Mitteleuropa.

Würden Sie sonst noch gerne ein kulturelles Thema, einen Themenschwerpunkt diskutieren wollen mit den Kunst- und Kulturschaffenden, den Kreativen, den Künstlerinnen und Künstlern dieser Stadt?

Marianne Betz: Na ja, Interkulturalität füllt schon viele Abende, das ist für mich ein zwingendes Thema dabei. Ein anderes Thema, was natürlich auch wieder durch die Gegenwart angestoßen ist, ist so existenziell, dass ich nicht weiß, ob man es diskutieren will, aber es liegt in der Luft. Es ist die Existenzialität durch unser Leben und unsere Energieformen, mit denen wir leben, die Auseinandersetzung mit der Welt und dem, was wir aus der Welt machen und unserer Verantwortung. Inwieweit können wir Atomenergie verantworten – auch wenn wir sie brauchen? Das ist eine Frage, die sehr schwer zu beantworten ist. Ich will jetzt gar nicht auf irgendeine Lösung hin, aber wir erfahren gerade, wo die Entwicklung der Welt an Grenzen kommt. Diese Diskussion ist schwer, weil sie ist keine, die man mit viel Optimismus angehen könnte. Vor der Auseinandersetzung würde ich mich im Moment auch drücken. Interkulturalität versucht man immer wieder auch aktiv anzugehen. Ich verstehe, dass man das andere im Moment nicht so gut aktiv aufgreifen kann. Aber vor solchen Themen rücken für mich andere Dinge sehr in den Hintergrund.

Zum Themenbereich Gender und Frauen. ist Ihnen irgendwie etwas aufgefallen im Zusammenhang mit dem kulturpolitischen Diskurs in Linz, dass das Thema Gender eine Rolle spielt?

Marianne Betz: Nicht besonders, zu wenig.

Ist Ihnen irgendetwas in die Richtung bekannt, irgendein Projekt, irgendeine Maßnahme, welche die Stadt gesetzt hat in dem Zusammenhang?

Marianne Betz: Ich weiß jetzt nicht, ob es die Stadt gesetzt hat, da muss ich passen. Ich kenne FIFTITU%, ich kenne verschiedene handelnde Personen, ich weiß, dass Gender ein Thema ist in einem Beirat, einem besonderen Beirat, weil ich da auch angefragt wurde. Dann hört es auf, was stadtspezifisch ist, ehrlich gesagt. Also ich weiß um einzelne Beratungsstellen und Personen, aber dann müsste ich passen.

Recht viel mehr gibt es wohl nicht, einzelne, kleinere Projekte und Preise noch.

Marianne Betz: Ja? Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass ich in diesem Bereich – ich war lange Frauenbeauftragte – ein relativ gut sensibilisierter Mensch bin. Das bestätigt mich dann, wenn Sie sagen, dass es nicht recht viel mehr gibt.

Einen Symmetriebericht der Geschlechter gibt es noch, aber der geht über alle Bereiche hinweg, und vielleicht die eine oder andere Maßnahme, aber sehr viel gibt es nicht im Kunst- und Kulturbereich. Wenn Sie den Kunst- und Kulturbereich betrachten, wenn es möglich ist mit Bezugnahme auf Linz, sonst allgemeiner, was fällt Ihnen da als erstes ein, wenn es um Diskriminierung von Frauen geht?

Marianne Betz: Ich könnte jetzt nur mit Fragen ansetzen. Ich würde fragen, ob Aufträge und Engagement in gleichem Maße an Frauen wie an Männer ergehen und ob sie gleich dotiert sind. Ob Ehrungen, Preise, Auszeichnungen, Stipendien in gleichem Maße an Frauen wie an Männer gehen. Auch, ob kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen das Thema Familienfreundlichkeit mitspielen, bei Veranstaltungen, gibt es da Kinderbetreuungsmöglichkeiten? Ich bin oft in Wien in Ministerien eingeladen, auch zu Abendveranstaltungen, bei denen in bestimmten Bereichen Kinderbetreuung angeboten wird. Das wird genutzt, und das ermöglicht dann Frauen, leichter an Veranstaltungen teilzunehmen. Das heißt jetzt nicht, dass jedes Konzert auch einen Kindergarten einrichten muss, aber es sind bestimmte Dinge, die auch mitgedacht werden sollten. Was fällt mir noch ein? Es gibt ganz praktische Dinge, die sind vielleicht nicht nur kulturspezifisch, sondern auch stadtspezifisch. Wie wird darauf geachtet, wie gut sich Frauen in einer Stadt bewegen können?

Das hängt mit Stadtarchitektur zusammen?

Marianne Betz: Ja. Es gab in Freiburg einmal einen Aufruf der damaligen Frauenbeauftragten, das war noch in den ersten Zeiten, als die Städte Frauenbeauftragte einrichten mussten mit entsprechenden Büros, die dann Vorschläge gesammelt hat von Frauen, wo Wege anders gestaltet werden müssen, sei es dass die schlecht beleuchtet sind, sei es dass sie mit dem Kinderwagen nicht gut begehbar sind. Es gibt ganz viele Aspekte.

Wenn Sie dafür zuständig wären, welche besonderen Maßnahmen würden Sie in Linz setzen, um eine Gleichberechtigung der Geschlechter zumindest im Kunst- und Kulturbereich sicher zu stellen?

Marianne Betz: Die Frage ist schon gut, aber übersteigt jetzt meine Überschau über das Ganze. Ich beantworte sie mal mit einer Antwort, die nicht passt, aber die vielleicht trotzdem irgendwie ein bisschen sachdienlich ist. Ich glaube, man müsste versuchen, mit diesem sehr praktischen Beispiel, das ich gerade gegeben habe, Frauen anzusprechen. Frauen- und Genderarbeit in Institutionen mit Beauftragten dürfen keine Enklaven werden, sondern es muss sich ja auch wieder Menschen mitteilen.

Nächster Themenbereich. Kulturentwicklung, Kulturplanung, Evaluierung. Mich würde interessieren, ob Sie irgendetwas über die Inhalte des alten Kulturentwicklungsplans für die Stadt Linz aus dem Jahr 2000 mitbekommen haben?

Marianne Betz: Nein.

Auch nicht in irgendwelchen Diskussionen, dass zumindest schon einmal darauf verwiesen wurde?

Marianne Betz: Das kann schon sein, aber das habe ich dann nicht verstanden, zumal wir eine Einrichtung des Landes sind, das heißt, ich bin stärker in Diskussionen, die vom Land initiiert werden, eingebunden. Ich habe aber schon die Diskussionen um das Kulturleitbild des Landes mitbekommen.

Was denken Sie, was bringt Kulturentwicklung und Kulturplanung für eine Stadt wie Linz eigentlich? Dazu gibt es ja verschiedene Positionen und nicht jede Stadt hat einen Kulturentwicklungsplan oder ein Kulturleitbild.

Marianne Betz: Ich denke, was ein Plan bringen sollte, das wäre, einen Rahmen zu schaffen für eine große Vielfalt kultureller Ereignisse und kulturellen Engagements in einer Stadt, zwischen On- und Off-Bereichen wechselnd, durch die Kulturen hindurchgehend, von Hoch- bis Subkultur und sonst wo hin. Ein solcher Plan muss auch über Organisatorisches nachdenken, also über organisatorische Rahmenbedingungen, da müssen Orte mitberührt werden, an denen etwas stattfinden kann, es müssen Strukturen mitgedacht werden und da sehe ich eine Chance. Als Kulturschaffende, -treibende, -organisierende sehe ich darin einen großen Wert. Gerade auch mit dem Blick auf mein Haus kann ich vielleicht ein bisschen konkreter sein, gerade mit dem Blick für Menschen, die in der Freien Szene dann irgendwann tätig sind. Ich denke an Musiker, die bei ums im Jazz oder im Improvisationsbereich tätig sind, die einen solchen Rahmen oft brauchen, um Fuß zu fassen, die auch Unterstützungsmöglichkeiten brauchen und seien sie so einfacher Natur, dass über Proberäume nachgedacht werden muss.

Wie soll Ihrer Meinung nach sichergestellt werden, dass Maßnahmen, die in einem Kulturentwicklungsplan oder in einem Kulturleitbild festgeschrieben sind, auch tatsächlich umgesetzt werden, damit es nicht zu einem toten Papier wird?

Marianne Betz: Man muss evaluieren. Das wäre die klassische Qualitätssicherungsmaßnahme dazu. Das würde gut gefächerte Befragungssysteme erfordern, die natürlich auch in die Bevölkerung rein gehen, an Betroffene, an die Bevölkerung.

Letzter Themenbereich, Publikum, Zielgruppen, alterspezifische Kulturangebote. Die Kulturpolitik in Linz ist seit vielen Jahren durch das Schlagwort „Kultur für Alle“ geprägt. Inwieweit denken Sie, dass die Stadt Linz diesem Anspruch auch gerecht wird?

Marianne Betz: In manchen Bereichen sicher, in anderen zu wenig, aber das mag an allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen liegen. In manchen Bereichen mit öffentlichen Veranstaltungen, Großveranstaltungen, draußen oftmals, da mag das gelingen, in anderen Bereichen, institutionalisierten Bereichen, glaube ich, müsste man sich andere Konzepte überlegen. Wir haben vorhin von der Überalterung im Publikumsbereich gesprochen, im Konzertsaal, im Theater. Wir brauchen mehr Junge, die dort auch hingehen. Da sind nicht nur so Einrichtungen wie wir gefragt, da sind auch die Städte mitgefragt, dass sie mithelfen, bestimmte Programme aufzubauen. Man muss die Jugendlichen, die Kinder, in die Theater und in die Säle hinein bringen, genauso wie in die Museen, man muss helfen Programme, zu entwickeln. Das sind spezielle Formen von Kultur- und Kunstvermittlung, die da gebraucht werden und die brauchen auch das städtische Engagement, die städtische Unterstützung.

Schwebt Ihnen da irgendetwas Besonderes vor, wenn es um Kunst- und Kulturvermittlung geht, wo Sie sagen würden, Ihren Bereich vor allem betrachtet, Musik, Theater, Tanz: „So könnte das funktionieren.“?

Marianne Betz: Es gibt keine Patentrezepte, es gibt Sachen, die funktionieren gut und dann kann man hoffen, dass sie ein zweites oder drittes Mal auch gut funktionieren. Es gibt bei uns im Haus Dinge, die heißen Kinder-Mitmach-Konzerte und andere Sachen, die gut funktionieren. Es gibt bei den jetzt häufiger werdenden, langen Nächten für irgendetwas eine ganze Reihe an Ideen, Publikum mit einzubeziehen. Die Menschen aktiv in das Erleben mit einzubeziehen, ist sicherlich eine gute Sache. Ich kann mich jetzt hier nicht sehr zur Museumspädagogik äußern, weil ich diesen Bereich nicht so beobachtet habe, einfach aus Zeitgründen, weil ich nicht so lange hier bin. aber das ist auch etwas Wichtiges. Wenn es etwa Programme mit Jugendlichen gibt oder mit bestimmten Gruppen, die jetzt städtisch gefördert werden oder initiiert werden, dann ist, glaube ich, ein aktives Heranbringen in Kulturinstitutionen und Kulturbereiche etwas ziemlich Wichtiges.

Jetzt ist das ein hehrer Anspruch, sage ich, was mit dem Schlagwort „Kultur für Alle“ oder dann weiter gedacht „Kultur durch Alle“ angerissen wird. Sie haben zuvor sofort auf Kinder und Jugendliche fokussiert. Wie würden Sie eine stärkere Fokussierung von kulturellen Angeboten auf einzelne Zielgruppen beurteilen, auch wenn das unter Umständen auf Kosten anderer Zielgruppen geht? Das heißt, wenn man von diesem Kultur für Alle etwas weg geht, von dieser breiten Streuung, und sagt, jetzt schauen wir, dass es kulturelle Angebote verstärkt für Kinder und Jugendliche in dieser Stadt gibt, auch wenn es zu Lasten der Erwachsenen geht.

Marianne Betz: Na ja, das ist die Frage erstens, ob das so sein muss. Aber ich würde den Akzent bei Kindern und Jugendlichen für ganz wesentlich halten. Da habe ich jetzt leider wieder einen Tunnelblick, ich bin mir bewusst, dass ich ihn habe, ich kann nur ein Beispiel geben, es gibt viele. In den letzten Jahren habe ich viele Erfahrung gemacht, wo man merkt dass auch die Schulen … ich will nicht sagen, die Schulen versagen, aber dass in den Schulen einfach große Probleme vorhanden sind, Jugendliche zu begleiten durch ihren Lebensweg, den sie dort verbringen, diese Lebensspanne. Ich habe, da war ich noch in Leipzig damals, diesen Amoklauf in Erfurt sehr erschrocken miterlebt, nicht nur, weil ich viele Lehrer in meinem familiären Umfeld habe, ich hatte auch eine Studentin, die einen ähnlichen Lebensweg hatte, die also ähnliche Dinge erfahren hat, die nur durch Glück zu einer anderen Lösung dieser Probleme gekommen ist wie der Jugendliche, der da Amok gelaufen ist. Was einen erschüttert, ist diese ungeheure Sinnkrise, die man bei vielen Jugendlichen erfährt und die dann zu Reaktionen führt, die einem das Blut in den Adern frieren lassen. Eine meiner Thesen ist, wenn man die Kinder mehr mit Tieren aufwachsen ließe – das ist sicherlich eine schulische Aufgabe, die Schule kann aber nicht alles leisten – dann hätten sie einen anderen Bezug zum Leben, gerade in einer von Medien und Internet geprägten Zeit, wo die Figur im nächsten Spiel einfach wieder aufersteht. Zugleich wäre auch aktives Musikmachen ein Ventil der eigenen Äußerung. Da ist mir egal, in welchem Stil und wie und auch in welcher Lautstärke. Das wäre ein sehr guter pädagogischer Ansatz, der helfen würde, Sinn zu vermitteln. Das ist etwas, da sind sicherlich die Schulen überfordert, da sind Einrichtungen wie wir komplett überfordert, weil wir gar nicht dran kommen und gar nicht da arbeiten, da müssten sicherlich Kooperationen und gemeinsames Denken erfolgen. Das sind dann vielleicht nicht die, die sich dann im Rock-Keller verschanzen und wo man nur hoffen kann, dass die Nachbarn mitmachen, um es auf den Nenner zu bringen, das sind sicherlich nicht die Brucknerhausbesucher von morgen, aber das wäre ein ganz wichtiges Ziel. Vielleicht wird man, wenn man solches Engagement intensiviert, einfach beim ein oder anderen auch die Lust nach anderen Bereichen wecken können. Das hängt ja immer von vielen Faktoren ab, aus welchem Kontext kommen Jugendliche, welchen Hintergrund haben sie in ihrem Elternhaus, in ihrer eigenen Kultur, in ihrer Erfahrung und Prägung und Sozialisation? Aber da würde ich einen starken Fokus drauf setzen und wenn Städte da mithelfen können durch pädagogische, integrative, was weiß ich wie kulturfördernde Maßnahmen, dann sollte das so sein.

Das war’s schon, danke schön. Ist Ihnen noch irgendetwas abgegangen?

Marianne Betz: Jetzt erstmal nicht. Wie gesagt, mein Wahrnehmen hat im Moment nicht nur einen berufsbedingten Ausschnittcharakter, sondern das hängt natürlich auch damit zusammen, dass ich noch nicht lange hier bin. Wenn man hier aufgewachsen ist, dann hat man einen anderen Blick.

Danke.

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