Gabriele Kaiser

Geburtsjahr, Geburtsort?

Gabriele Kaiser: 1967, Wels, aufgewachsen in Linz.

Du lebst wieder in Linz seit wann?

Gabriele Kaiser: Seit meinem Eintritt hier ins architekturforum, seit 1. Oktober 2010, also wieder täglich beziehungsweise nahezu täglich, bis auf die Wochenenden, manchmal Montage. Die Mehrzahl der Woche, vier Tage zumindest in der Woche, bin ich in Linz. Ich bin in dieser Stadt auch aufgewachsen, allerdings immer nur als Elternbesucherin in diese Stadt zurückgekehrt in den letzten 15 Jahren, was den Anschein von Stadtkenntnis erweckt, aber wie sich jetzt herausstellt, eine doch sehr ferne Sicht auf ein Milieu hier war, sodass ich eigentlich wie eine Neueinsteigerin mich fühle, also wirklich die Stadt jetzt auch neu entdecke.

Hat es abseits der Elternbesuche andere Beziehungen zur Stadt gegeben in den letzten Jahren, also Kunstuniversität zum Beispiel?

Gabriele Kaiser: Ja, über einen Lehrauftrag an der Kunstuniversität, quasi mit der Fachrichtung Architektur, stehe ich mit der Kunstuniversität seit Jahren in Verbindung. Ich bin auch selbst aktiv Vorstandsmitglied in dem Verein, der sich mit dem literarischen und künstlerischen Nachlass von Heimrad Bäcker beschäftigt, der eine zentrale Figur für mich in Linz gewesen ist, auch noch nach meinem Fortgang, also Elternbesuch ist nur ein Teil, ich habe mit Heimrad und Margret Bäcker sehr engen Kontakt gepflegt.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus? Also neben der Geschäftsführung im architekturforum und dem Verein um Heimrad Bäcker?

Gabriele Kaiser: Wie gesagt, die Lehrtätigkeit geht jetzt auch wieder weiter, an der Kunstuniversität mit Architekturgeschichte, und was ich ja seit Jahrzehnten, muss ich leider schon sagen … der Beruf der Architekturjournalistin, das habe ich jetzt sozusagen ein bisschen zurückgestellt, weil der Einstieg sehr hart, vereinnahmend war hier, aber das tritt jetzt auch wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund, fachlich über Architektur zu schreiben.

Wie würdest du die eigene Tätigkeit am ehesten bezeichnen?

Gabriele Kaiser: Geschäftsführerin des architekturforum und Architekturpublizistin, so steht es auch in meiner Visitenkarte.

Welche Zielgruppen werden durch die Arbeit des architekturforum besonders angesprochen?

Gabriele Kaiser: Die Kernzielgruppe ist schon die Teilöffentlichkeit, Fachwelt Architektur und Städtebau, Design, Kunst, bildende Kunst, aber ich sehe das so wie einen Stein, den man ins Wasser wirft und die äußeren Ringe immer mehr werden sollten. Es freut mich immer sehr, wenn ich sehe – es gab ja inzwischen schon einige Veranstaltungen im Haus, die ich begleiten konnte – dass Menschen aus anderen Teilöffentlichkeiten, die im engeren Sinne nichts mit Architektur zu tun haben, hier her kommen. Das freut einen dann ganz besonders, weil es ja eigentlich schon so eine Relaisstation ist, eben vielleicht diese spröde Materie wie Architektur und Städtebau einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Also so ein interdisziplinärer Ansatz, der schon vom Beirat in den letzten zwei Jahren angedacht und realisiert wurde, der kommt meiner Vorstellung von Arbeit sehr entgegen, wenngleich ich trotzdem im Klaren die Architektur sehe.

Auf welchen geografischen Wirkungsbereich zielt die Arbeit in erster Linie ab?

Gabriele Kaiser: Ja, das war auch etwas, das ich sehr unterschätzt habe in meiner Vorstellung, dass das große Bundesland Oberösterreich auch Ränder hat, wo vielleicht dann schon andere Wirkungskreise ins Treffen geführt werden, wie zum Beispiel das Salzkammergut. Die tendieren dann vielleicht schon nach Salzburg und würden jetzt nicht extra nach Linz herein pendeln, um vielleicht eine Abendvorstellung zu besuchen. Also so die Vorstellung, dass ganz Oberösterreich einen umringt, ist natürlich eine fiktive, der Großraum Linz steht naturgemäß im Zentrum. Aber ich würde mich gerne bemühen in den nächsten zwei Jahren vielleicht auch stärker dezentrale Aktivitäten hinauszuschleifen ins Bundesland, weil mir gerade das wichtig erscheint. Quasi in kleineren Gemeinden auch … also zu unterstützen, was ja verschiedene Einzelinitiativen auch tun, aber ich denke das architekturforum sollte hier verstärkt aktiv werden.

In welchen künstlerischen Disziplinen bzw. kulturellen Arbeitsfeldern ist die Einrichtung hauptsächlich tätig? Also Architektur, Städtebau aber hast du gleichzeitig auch andere Disziplinen genannt, mit denen es in Verbindungen steht?

Gabriele Kaiser: Ich meine, die Architektur hat ja per se … das liegt in der Natur der Architektur, dass sie mit allen Disziplinen … dass sie ein Beinchen in allen Disziplinen hat. Aber jetzt schon vom unmittelbaren Programm hat es natürlich Bezugsfelder zur Sozialwissenschaft. Unsere kommende Ausstellung wird kuratiert von Peter Arlt. Es gibt sicher Themen, wo es stark um Quartiersplanungen geht. Und zuvor gab es die Ausstellung zu Kunst und Bau, da wird wirklich die bildende Kunst einmal in den Vordergrund gestellt. Im Prinzip geht es rein bis in die Biologie, wenn man will, das machen wir zum Teil mit dem Bienenprojekt, das zur Naturwissenschaft eine ernsthafte Schnittstelle bietet. Die Architektur bietet da wirklich ein reiches Feld zum Anknüpfen. Auch Statik, Technik, ein bisschen zu formalen Konzepten, die sich sozusagen aus der Natur schweißen. So gesehen, könnte man dieses Thema endlos bespielen, man bräuchte nur die Tageszeitung aufschlagen, man könnte jedes Thema mit der Architektur verknüpfen. Ich unterstelle das jetzt nicht nur der Architektur, sondern anderen kulturellen Felder auch, aber die Architektur hat es aufgrund ihrer Präsenz im Alltag ein bisschen leichter als sozusagen Elfenbeinturmdisziplinen.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche und technische Infrastruktur aktuell einen Handlungsbedarf, d. h. den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Gabriele Kaiser: Es ist jetzt nicht over-equipped, das würde ich jetzt einmal nicht sehen, aber das unmittelbare Verlangen, Geld in diese Richtung zu investieren, verspüre ich auch wieder nicht. Nicht nur angesichts der finanziellen Lage ist es nicht angebracht, so zu denken, ich sehe das jetzt nicht für notwendig an. Räumlich finde ich das Haus fantastisch, Diskurs- und Ausstellungsräume, beides eignet sich sehr gut und war bislang in der Größe ausreichend. Wenn ich mir jetzt vorstelle, es gäbe die Chance mit entsprechendem Budget, eine große Ausstellung zu machen, dann ist es wiederum in der Summe von 300 m2 sehr beschränkt. Aber im bisherigen Handlungsrahmen, den wir jetzt hatten, ist es ok. Das technische Equipment ist ein bisschen out-of-date teilweise, aber ich sehe da auch Optionen der Nachbarschaftshilfe, wo man sich wirklich einmal über die Runden helfen kann, also bei einer Kooperation mit der Ars Electronica beispielsweise kann man sich da relativ niederschwellig etwas ausleihen. Insofern gibt es kein Verlangen, das jetzt aufzurüsten.

Wie viele Personen waren in der Einrichtung mit Stand 1. Jänner 2011 insgesamt beschäftigt? Und in welchen Arbeitsverhältnissen (Vollzeit, Teilzeit, freie Dienstverhältnisse, …) befanden sich diese Personen?

Gabriele Kaiser: Da gibt es abgesehen von mir selber … ich habe einen 30-Stunden-Vertrag, die Assistenzstelle, die 24 Stunden hat, dann gibt es geringfügig Beschäftigte, sei es die Reinigungskraft, sei es Aufbau, aber damit enden schon die Dienstverhältnisse wieder.

Und wenn ein durchschnittliches Arbeitsmonat oder ein typisches Projekt betrachtet wird: Wie viele Personen sind schätzungsweise für die Einrichtung auf freiwilliger Basis tätig?

Gabriele Kaiser: Es ist naturgemäß der Vorstand ein ehrenamtlich tätiger Vorstand, aber ins Projekt involvierte Personen arbeiten in der Regel nicht umsonst. Es gibt das auch, aber da gibt es dann eine normale Honorarregelung, also Werksvertragsbasis. Aber so viele größere Projekte hatte ich jetzt noch nicht im Haus, beim Kunst-und-Bau-Projekt beispielsweise waren in den Spitzenzeiten bis zu zehn Personen involviert. Da geht es bis in die Grafik, also wirklich alle Verästelungen, in der Ausstellung plus Katalog.

Kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Gabriele Kaiser: Ich muss vorausschicken, da kommen jetzt Plattitüden, also geografisch bedingte Plattitüden, da kommt bei mir die Klangwolke, Ars Electronica, dann kommt bei mir das Brucknerhaus, das sind so meine juvenilen Kulturstätten, dann kommt Posthof, Stahlstadt trotzdem, dann kommt Nike, also stark mit den 1980er-Jahren konnotierte Assoziationen.

Wenn du die letzten zehn Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Gabriele Kaiser: Mein Schlagwort ist Diversifizierung. Mir schein es so zu sein, dass sich so kleinere Initiativen etabliert haben, sehr viele verschiedene, das könnte jetzt auch so sein, weil ich, wenn ich das mit anderen Städten … ich meine, ich will es nicht mit Wien vergleichen, aber Graz, Salzburg wird ähnlich sein, da bekomme ich jetzt eine Durchfüllung damit und bin eigentlich recht positiv gestimmt, dass es so eine Bandbreite an fast subkulturellen Aktivitäten gibt, die ich sehr spannend finde.

Und mit welchen kulturellen Entwicklungen der letzten zehn Jahre bist du überhaupt nicht zufrieden?

Gabriele Kaiser: Diese Selbstmarketing-Perspektive der Stadt mit dem immer noch durchklingelnden Minderwertigkeitskomplex. Für mich irgendwie unpassend, ich weiß nicht, ich kann es jetzt nicht genauer formulieren, aber es macht ab und zu den Eindruck, als hätte man einen Beweisdruck, im Städtewettbewerb. Quasi jetzt Salzburg, man steigt nicht aus in Linz, also das war quasi meine Ersterfahrung, bei den Antrittsbesuchen, dass dieser schlechte, dieser Nachruf, dass sich die Menschen immer in Verteidigungsrollen begeben und die Stadt loben, auf eine Weise die eigentlich ein bisschen … wo ich mir denke, ja es ist klar, aber es muss jetzt nicht so aus einem Städtekonkurrenzdenken heraus argumentiert werden. Das hat mich ein bisschen irritiert. Das zweite ist dieses Dilemma mit Industrie und Natur, das sind naturgemäß marketingbedingte Stadtbildverkürzungsslogans und das verengt auch die Sicht auf die eigene Stadt. Dieses dilemmatische Denken zwischen der Industrie und dem Grünen sozusagen, das Ausblenden dazwischen ist etwas unangebracht, ermüdet schnell.

Trotz deiner Kritik am Städtewettbewerb, stelle ich die nächste Frage. Womit kann Linz deiner Meinung nach in kultureller Hinsicht punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck?

Gabriele Kaiser: Ich finde schon, die Ausbildungsstätten in Linz. Die bilden eine eigene spezielle Landschaft, also die universitären Ausbildungsstätten im speziellen. Da gibt es natürlich diesen technischen Schwerpunkt, dann die Kunstuniversität und auch die Katholisch-Theologische Universität. Und die Sozialwissenschaft hat in Linz, glaube ich, auch einen sehr guten Stellenwert, das finde ich sehr interessant. Ich bin jetzt gerade am Herantasten an die Katholisch-Theologische Universität, weil da eigentlich sehr spannende Dinge passieren und für mich sind solche Akteure für eine Stadt prägend, nicht unmittelbar, das ist logisch, aber als wichtiger Impulsgeber und so gesehen, wenn man das jetzt mit Salzburg vergleicht, ergibt sich da einfach eine andere Konstellation. Und Linz hat so wie auch Graz mit diversen Festivals schon über die Jahre hinweg etablierte Fixgrößen, die Alleinstellungsmerkmal haben, und da gehört das Crossing Europe Filmfestival mittlerweile auch dazu.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Ist das nur auf Fachkreise beschränkt? Und welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Gabriele Kaiser: Also das kann ich jetzt nicht wirklich beantworten, da bin ich jetzt nicht … da fehlen mir die Datenquellen. Ich bin mir ganz sicher, dass Linz wahrgenommen wird. Linz liegt ja jetzt verkehrsgeografisch nicht ganz ungünstig. Ich frage mich, ob die Nord-Süd-Achse nicht etwas stärker etabliert werden könnte. Aber an einer Westbahnstrecke so situiert zu sein, hat schon einen Vorteil für eine Stadt, wenn man jetzt denkt, wie sehr Graz abgegrenzt ist. Wie es jetzt nach Norden aussieht, da habe ich mich zu wenig umgetan, ob es zu unseren nördlichen Nachbarn Aktivitäten gibt, das würde mich schon interessieren.

Beschreib mir bitte dein Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten. Was fällt dir ein zu Linz09?

Gabriele Kaiser: Nachdem ich da noch nicht im kulturellen Geschehen war, kann ich die sicher sehr komplizierten Enttäuschungsmomente ausblenden und habe im Vergleich zu Graz03 Linz09 positiver wahrgenommen. Aber das kann jetzt, wie gesagt, auch trügerisch sein. Eben auch in der Diversität des Angebotes vielfältiger und zum Teil … über die Nachhaltigkeit kann ich nicht viel sagen, aber ich habe einiges wahrgenommen, obwohl ich hier nicht ansässig war und es erschien mir eigentlich die Bandbreite eine große zu sein. Was mir vielleicht schon aufgefallen ist, aber das ist auch im Wesen der Kulturhauptstadt begründet, es wurde wahnsinnig viel Papier produziert bei Linz09. Das sei jetzt einmal neutral in den Raum gestellt. Aber es sind tolle Aktivitäten von statten gegangen. Ich glaube, dass Linz vielleicht noch ein bisschen davon zehrt, ich habe auch vernommen, dass das von den Stadtvätern nicht unbedingt so mit positiven Grundeinstellungen beflügelt gewesen ist, und vielleicht jetzt eine kritische Sicht auf die Situation, dass das sozusagen keine Erfolgsgeschichte … also man kann da durchaus eine geteilte Ansicht haben. Aus der KonsumentInnensicht würde ich das aber schon als ein gelungenes Projekt bezeichnen.

Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Gabriele Kaiser: Also aus meiner Sicht? Da tue ich mir jetzt schwer. Volkskultur ist jetzt nicht nur das volkstümliche, aber was ist Volkskultur? Wozu zählt man das Pflasterspektakel? Zur Hochkultur? Ich meine, das müsste die Förderpolitik widerspiegeln, man könnte das wahrscheinlich sehr objektiv anhand der Zahlen darstellen. Von der Wahrnehmung her, ich meine, man geht ja auch an verschiedene Orte mehr hin als an andere, deshalb erscheint einem die traditionelle Volkskultur gar nicht so präsent zu sein. Die Präsenz der Hochkultur ist schon eindeutig, auch in dieser Stadt. Mit der Einordnung der traditionellen Volkskultur tue ich mir schwer. Ich nehme zwar an, dass die auch relativ präsent ist. Ich bin relativ oft am Linzer Bahnhof, in der gesamten Weihnachtszeit die Blasmusikkapelle. Also jetzt verglichen zu Salzburg ist das Verhältnis zwischen Volkskultur und Subkultur anders gelagert, fast reziprok vielleicht.

Wenn du dir einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie bis hin zur Architektur usw. vor Augen führst: Wo würdest du meinen, wäre in der Stadt noch Entwicklungspotenzial vorhanden?

Gabriele Kaiser: Jetzt muss ich natürlich die Architektur hervorheben, wo ich der Ansicht bin, dass sich jetzt gerade eine Art Generationswechsel abzeichnet. Bei den jetzt Anfang-30- und Mitte-30-Jährigen, also die Absolventengeneration der jetzigen Kunstuniversität, sehe ich ein großes Potenzial, auch in einer anderen Auffassung des Berufsbildes, auf das einzuwirken in ihrer Disziplin. Die zweite Vermutung, eine Instinktansage, weil ich so viel arbeite, dass ich ignorant bin, liegt im Bereich der Musik und zwar nicht in der klassischen Musik, eher in der Freien Szene und der Submusikszene, wo ich vermute, dass da Linz ein großes Potenzial hat, auch schon aus den 1980er-Jahren kommend. Ja, im Schauspiel, das ist glaube ich überall gleich, das ist so ein internationales Gewerbe, also ein Tanzzirkus, ein Wanderzirkus, das sehe ich nicht so an die Städte gebunden. Also, durch den Bau des Musiktheaters könnte man meinen, dass vielleicht ein Aufschwung in der lokalen Musiktheaterszene beispielsweise entsteht.

Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen?

Gabriele Kaiser: Ein Slogan: „Fertig gibt es nicht!“. Sprich, eine Auffassung vom Umgang mit Substanz, wo man sich bewusst ist, dass man ein Akteur ist, der in der Geschichte steht. Das umfasst jetzt … das ist deswegen so abstrakt für mich, das hat mit dem Thema Umbau zu tun im architektonischen Sinn, aber ich glaube in allen anderen Themen lässt sich diese Aussage auch füllen. Was ich glaube, was in dieser Stadt ein großes Thema ist, bestehende Strukturen umzudeuten, also Umdeuten ist vielleicht noch ein Thema, Umbau da denkt man immer gleich an das Werkliche, aber Umdeuten … es ist eine Stadt, die diese brüchigen … es gibt einfach solche Brüche in der Stadt, es gibt Gott sei Dank so Brachen und ich glaube, dass das ein Zukunftsthema ist, das als Ressource zu erkennen. Das wäre ein großes Thema, glaube ich. Solidarität, das Bienenthema unserer Ausstellung, kommt ja nicht von ungefähr. Das ist sozusagen diese Art von kooperativer Gemeinschaft, das meine ich schon ernst. Gut, das ist eigentlich ein politisches Thema. Im weitesten Sinne, Gespräch, Diskurskultur. Ich habe das selber für mich auch entdeckt, dass mir das hier ein großes Anliegen ist, deswegen doch relativ viele Gesprächsveranstaltungen, die sich … wo ich merke, es wäre einfach sinnvoll, ein Vice Versa zu haben und nicht nur Frontalunterricht in Form von … das merke ich intuitiv. Wir müssen nachher darüber sprechen, wo wir auch etwas zurückbekommen. Dieser Austausch ist anscheinend … das ist jetzt keine Linz-Spezifik, sondern eine Selbstverständlichkeit, aber jetzt wo ich in dieser Rolle bin, spüre ich es noch stärker, dass ich sicher irgendwie den inneren Auftrag habe, das stärker anzuregen und dass wir das tun müssen.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Zuerst zu Interkulturalität, Migration und Integration. Ist dir bezüglich der migrantischen Kulturarbeit in Linz irgendetwas, seitdem du da bist aufgefallen? Hast du irgendetwas kennengelernt, also Initiativen, Einrichtungen, Personen, vielleicht auch im Vergleich zu Erfahrungen, die du in Wien gemacht hast?

Gabriele Kaiser: Einmal grundsätzlich finde ich das Thema wichtig, weil es für mich ein kulturpolitisches Faktum der Zukunft ist, dass der migrantische Anteil der Bevölkerung ein Faktum ist. Das sieht man jetzt an den Schulklassen und das ist die Gesellschaft von morgen. Es gibt – die Erkenntnisse habe ich jetzt alle aus der Zusammenarbeit mit Peter Arlt gewonnen – in Linz und Oberösterreich schon einige Initiativen in der Stadtkulturarbeit, die sich mit migrantischen Themen auseinandersetzen. Ich vergleiche das jetzt vielleicht mit der Bassena am Schöpfwerk, das scheint mir ein passender Vergleich zu sein, wo eher über die longue durée man merkt, es ist natürlich die Ernsthaftigkeit der Kulturarbeit und dass es greift. Dass es dieses Franckviertel TV gibt, ist schon ein Instrument, das etwas vorantreibt und ich glaube schon, dass das eine Möglichkeit ist, auf eine sehr unbürokratische Weise ein Selbstverständnis mit der eigenen Stadt herzustellen. Deswegen glaube ich … die Architektur spielt da gar nicht so eine tragende Rolle, das wäre eine Überschätzung der Möglichkeiten der Architektur, aber das wird ein Thema sein: Kann man Architektur da überhaupt einsetzen? Weil natürlich ist das zur Verfügung stellen von Lebensraum ein Thema, das nicht über die Nationalitätenfrage abgehandelt werden kann. Zugleich eben soziale Nachhaltigkeit im Wohnungsbau eine vierte Säule ist, die einfach gefordert ist. Das ist eine Art von Versuch, eine soziale Verantwortung in den Förderkatalog einzuschreiben, was auch legitim ist. Aber die Antwort auf diese Frage ist eben nur über solche kleinen Kulturvereine, die vor Ort sind, meiner Meinung nach viel besser, zu leisten. Dort liegt schon ein Potenzial. Zugleich sind das ja zum Teil Viertel, die ein bisschen vom Geschehen der Stadt abgeschnitten sind und jetzt will ich nicht behaupten, dass wir als Institution grundsätzlich etwas ändern können, aber schon alleine eine temporäre Fokussierung auf entlegene oder schwierige Quartiere könnte etwas in der Wahrnehmung verschieben. Weil da geht es sehr oft um eine Umleitung, Verschiebung eines Meinungsbildes.

Man spricht auch von Interkulturalität oder Transkulturalität. Was würdest du der Stadt sonst noch empfehlen? Welche interkulturellen Maßnahmen sollte die Stadt Linz setzen, um Interkulturalität zu fördern?

Gabriele Kaiser: Jetzt noch im weiteren Sinne beim Wohnbau verbleibend, glaube ich einfach, dass das Quartiersmanagement im weitesten Sinne ist, das Thema des klassischen Hausmeisters wiederbelebt werden könnte. Es gibt ja Städte … also in Wien gibt es Einzelfälle, wo ein besonders engagierter Hausmanager als Ansprechperson direkt vor Ort ist. Aber wenn du jetzt Bewohner, beispielsweise des Franckviertels … die haben keine Ansprechpartner, also da geht es jetzt nicht nur um Konfliktmanagement, sondern auch um Sachbeschädigungen in der Wohnung oder im Gang oder sonst wo. Diese schwierigen Quartiere werden auch oft alleine gelassen und wenn es da wieder einen Verantwortlichen gibt … es geht um die Ausbildung der Hausmeister, dass da wieder verantwortliche Personen zur Verfügung stehen. Aber da bleibe ich jetzt eher in meinem Milieu des Wohnungsbaus und der Architektur. Im Bildungsbereich gibt es sicher andere Leute, die etwas über die Betreuung sagen könnten, aber ich glaube, dass man im kleinen Soziotop ansetzen muss.

Leerstände und Zwischennutzungen ist der zweite Themenbereich. Inwieweit denkst du, dass Leerstände interessant für Kunst- und Kulturschaffende in Linz sind?

Gabriele Kaiser: Leerstände sind immer eine Ressource für nomadisierende Gruppen und eine Chance, um Stadt zu verändern. Räumlich ist es eine Ressource und es ist naturgemäß auch eine kulturelle, selbst in Bereichen der sogenannten Hochkultur. Und da würde ich jetzt, obwohl es typologisch nicht dazu passt, Bellevue dazu zählen. Das hat man ja gesehen, das war diese andere Frage, aber da hat man ja gesehen, dass die Aufmerksamkeit auf Punkte gelenkt werden kann, die sonst keinen Fokus bekommen. Und so sehe ich einen Leerstand als Keimzelle … eine Zelle ist vielleicht eine schlechte Metapher … aber als Möglichkeitsraum einfach, um Selbstreflexion anzuzetteln. Wenn der Leerstand noch dazu so ein bedeutender ist wie die Tabakfabrik und stadträumlich so eine Gelenkfunktion hat, dann erst recht. Zunächst einmal Selbstreflexion, da kann man sich ja fast feiern bei so einem Bestand und dann die Fühler ausstrecken in die Stadt. Das Fühler ausstrecken ist quasi das Um und Auf. Aber das kann irgendein leerstehender Friseurladen in der Marienstraße auch sein. Ich bin da zu sehr Historikerin, dass die Vorgeschichte des Raumes immer eine Inspiration ist, um weiter zu handeln und insofern ist der Neubau da ein bisschen benachteiligt gegenüber dem Altbau, weil der Neubau muss sich erst einen Kosmos etablieren. Und was schon eine zeitlang steht, egal welche Qualität es hat, hat einfach den Wert, den ihm Vergangenheit gibt.

Sind dir Initiativen oder Personen aus dem Kunst- und Kulturbereich bekannt, die „auf der Suche“ nach Möglichkeiten für Zwischennutzungen sind?

Gabriele Kaiser: Nein, also wie gesagt, da bin ich noch ganz am Anfang. Alles was über die unmittelbare, professionelle Kontaktnahme hinausgeht, das geht bei mir ein bisschen in Zeitlupe voran. Da habe ich jetzt noch keinen Eindruck bekommen, weiß aber, dass der Anteil ein hoher ist, also die Dunkelziffer eine höhere ist, als es der Stadt recht und lieb ist.

Kann die Stadt da überhaupt etwas machen? In der Diskussion ist oft auch Thema, dass der Stadt die Hände gebunden sind, dass es Leerstände gibt, bei denen man einfach keine rechtlichen Möglichkeiten hat. Was könnte die Stadt Linz für Maßnahmen setzen, um die Nutzung der Leerstände zu erreichen?

Gabriele Kaiser: Man könnte sie kartographieren lassen, eine Bestandsliste machen. Es wäre anmaßend gegenüber der Stadt, so etwas wie planerische Phantasien zu fordern, aber so eine Art empirische Erfassung für potenzielle Interessenten, das wäre schon eine Möglichkeit, um einmal eine Art von alternativem Stadtplan zu haben, wo man das wirklich nachvollziehen kann. Das würde vielleicht die Neubaurate relativieren. Jemand, der sich überlegt, angesichts einer solchen Bestandsaufnahme, dort gibt es so viel Leerstand, was machen wir damit?

Was würdest du dir sich hinsichtlich des derzeit größten städtischen Leerstandes, der Linzer Tabakfabrik, wünschen?

Gabriele Kaiser: Ich würde der Stadt Linz durchaus zugestehen, dass man nicht sofort mit Lösungen zur Stelle ist. Es hat sie auch von Anfang an keiner mit großem Schwung vertreten. Jetzt würde ich mir einfach eine viel größere Transparenz der Vorgänge wünschen, also das Eingeständnis, dass bei dieser Salonreihe im architekturforum am Anfang ein Thema gewesen, dass man überfordert ist mit so einer großen Immobilie, das war eigentlich ein starkes Signal. Da würde ich mir jetzt aber auch wünschen, dass man zu diesem starken Signal auch stärker steht. Weil auch wenn nichts geschieht, ist das ein Thema für einen Austausch mit der Öffentlichkeit. Und es wäre falsch, würden irgendwelche Interessenten aus der Freien Szene rein wollen, die auch das Interesse oder das Recht haben, informiert zu sein, das als Bedrohung zu empfinden oder als Kritik an der Nicht-Handlungsmacht. Es ist nicht zu erwarten, dass man schon fertige Konzepte vorlegt, aber wie auch an anderen Stellen vielfach geäußert wurde, diese Art von Eindruck, die entsteht, dass da etwas passiert und irgendwann wird man vor vollendete Tatsachen gestellt, das erzeugt einfach so ein Unbehagen und das könnte man sehr leicht aus der Welt schaffen, indem man eine kontinuierliche Vermittlungsarbeit macht.

Inwieweit sollte Kunst und Kultur dort eine Rolle spielen? Ist es auch denkbar, dass Kunst und Kultur dort überhaupt keine Rolle spielt?

Gabriele Kaiser: Ich glaube, dass ein Teil der Tabakfabrik räumlich dazu prädestiniert ist, für kulturelle Nutzung erhalten zu bleiben ohne sie zu zerstückeln. Es wäre jetzt rein aus baulicher Sicht schade, wenn die Länge und Breite der Halle für einen Bürobetrieb oder für eine Wohnungsnutzung komplett verloren geht, also das jetzt mal von der Substanz her gedacht. Eine kulturelle Nutzung ist immer eine Bereicherung für ein Quartier und das wäre es auch. Ich sehe nur den prozentuellen Anteil in keiner Weise so hoch, wie er bis jetzt immer diskutiert worden ist, weil ich halte relativ wenig von einer Konzentration der Kultur auf die Tabakfabrik und ein möglichst natürliches Abbild des städtischen Lebens in der Tabakfabrik für zukunftsfähiger, wobei ohne jetzt ökonomische Überlegungen hineinzubringen, was es aber auch braucht, um es dann irgendwann tragfähig zu machen. Also insofern sind für mich alle Nutzungen in der Mischung die wünschenswertere und die kulturelle Nutzung gehört dazu. Diese Überlegungen, so eine Art Museumsquartier daraus zu machen, kommt mir nicht nur unrealistisch vor, sondern auch nicht wünschenswert. Aber man kann immer viel reden, jeder hat dazu eine Meinung und das ist halt meine.

Netzwerke, Kooperationen und Zusammenarbeit ist der letzte Themenbereich. Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen in Linz aus? Welche positiven und negativen Erfahrungen hast du in diesem Zusammenhang gemacht? Wo befinden sich hier Grenzen?

Gabriele Kaiser: Na ja, die Grenzen der Zusammenarbeit liegen dort, wo man seine eigenen Interessen nicht erfüllen kann. Ich habe großes Verständnis dafür, dass eine große oder kleine Institution einen Auftrag hat und dem nachgeht. Ich persönlich habe bis jetzt sehr gute Erfahrungen in der unbürokratischen Zusammenarbeit mit Initiativen gemacht, also sei es, dass man sich im eigenen Haus von der Künstlervereinigung MAERZ etwas ausleiht oder gemeinsam etwas unternimmt. Das liegt vielleicht auch mit dem Umstand zusammen, dass ich neu hier bin und deswegen auch Kontakt gesucht wird, damit man sich kennenlernt. Aber ich habe bis jetzt immer offene Gespräche geführt mit anderen, also ob Nordico, Landesmuseum oder Salzamt. Es gibt recht positive Gespräche, oder auch mit der Katholisch-Theologischen Universität. Einfach sich abzutasten, wo liegen eure Themen, um vielleicht zukünftig etwas gemeinsam zu unternehmen. Das empfinde ich als einen sehr angenehmen Zustand. Ob sich da etwas Konkretes entwickelt, kann man ja erst sehen, wenn es ein Projekt gibt. Aber es ist aus meiner Sicht eine pragmatische Notwendigkeit, die einfach mit … das merken wir alle, dass wir um das Überleben kämpfen und dass man sich leichter tut, wenn man solidarisch – quasi, wir sitzen im selben Boot – sich gegenseitig aushelfen kann, ob es jetzt um Bilderrahmen geht oder um Geräte, Räume. Da empfinde ich das Milieu recht flexibel und sehe mich da auch als Partner.

Zwischen welchen künstlerischen Disziplinen in Linz könnte die Zusammenarbeit noch optimiert werden?

Gabriele Kaiser: Ich meine, von der Architekturseite her sind die Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft, jetzt nämlich von unseren Vermittlungstätigkeiten her, weil wir bemühen uns ja, das zu forcieren. Aber vom Berufsfeld selber habe ich den Eindruck, dass die Architektur sehr stark in sich selber ruht, naturgemäß muss man hinzufüge, weil das ein sehr strapaziöser Beruf ist, wo schon das Lesen von irgendetwas Luxus sein kann. Aber ich glaube, dass eben aus dem Bereich der Sozialwissenschaft Kompetenzen aktiviert werden könnten, was vielen einfach nicht bewusst ist. In der Architektur selber sehe ich da schon starken Öffnungsbedarf, da ist man so gefangen im Baugeschäft, da hat man ständig diese Art Gruppendisziplin und man hat es einfach im Alltagsleben eines Architekten mit so vielen Professionen zu tun, dass man über Transdiziplinarität in dem Sinn gar nicht nachdenkt.

Damit wären wir am Ende angelangt. Willst du mir noch etwas mitteilen?

Gabriele Kaiser: Nein.

Danke für das Interview.

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