4.8 Alles Theater? Und Musik? Und Medien?

Die Frage nach dem Entwicklungspotenzial künstlerischer Disziplinen ist eine schwierige, insbesondere da es in den letzten Jahren zu regelrechten Auflösungserscheinungen einzelner Disziplinen gekommen ist. Die Vielfalt der Disziplinen und ihre disziplinäre Verschränkung ist daher auch eine relativ häufige Antwort der Interviewpartner_innen auf die Frage, wo denn besondere Entwicklungspotenziale von Disziplinen in Linz zu finden sind. Gerade in den Zwischenbereichen wird eine besondere Stärke von Linz gesehen, komplexe Ausstellungen und disziplinenoffene Formate sind zukunftsfähig, es geht um das Erkennen von übergreifenden Zusammenhängen und ein stärkeres Verweben von Disziplinen. Manche Interviewpartner_innen sind deshalb auch der Meinung, dass es unmöglich ist, eine spezifische Disziplin herauszugreifen, sondern es notwendig ist, alle Disziplinen gleichermaßen weiterzuentwickeln.

INFO

Im 18. Jahrhundert bildeten unter dem Begriff „Schöne Künste“ noch Dichtkunst, Musik, darstellende, bildende und reproduzierende Künste den gesamten Kanon der Kunst ab. Seit Beginn der Moderne haben sich die verschiedenen künstlerischen Disziplinen stark erweitert und verschränkt, etwa durch Fotografie, Medienkunst, Performance, Konzeptkunst, Installation oder Comic. Ein Blick auf die Aufteilung der Zuständigkeiten im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur zeigt den praktischen Umgang mit der Ausdifferenzierung der verschiedenen künstlerischen Disziplinen und zugleich die Problematik und Unzulänglichkeit, die eine klare Trennung von Disziplinen mittlerweile mit sich bringt:

  • Bildende Kunst, Architektur und Design, Mode, Fotografie, Video- und Medienkuns
  • Musik, Schauspiel, Tanz, Kunstschulen, Allgemeine Kunstangelegenheiten
  • Film (Spiel-, Dokumentar-, Animations- und Experimentalfilm)
  • Literatur und Verlagswesen
  • Regionale Kulturinitiativen und -zentren, Unterstützung interkultureller Aktivitäten, spartenübergreifende Projekte

In vielen Interviews werden trotzdem Aussagen zu – beinahe allen – Disziplinen getroffen, in denen besonderes Entwicklungspotenzial für Linz gesehen wird, wobei beachtlich ist, dass oftmals Disziplinen genannt werden, in denen die jeweils interviewten Personen nicht originär tätig sind, d. h. sich ein relativ hohes Reflexionsniveau zeigt. Ein enger Zusammenhang, auf den mehrmals verwiesen wird, besteht insbesondere zu Disziplinen, bei denen universitäre Ausbildungsschienen vorhanden sind.

Am häufigsten wird auf Entwicklungspotenziale in Tanz, Theater und Performance hingewiesen, wobei dies oftmals mit dem Off-Bereich in Verbindung gebracht wird. Interessant ist, dass teilweise das Potenzial des Tanzbereichs im Speziellen hervorgehoben wird, wobei auch kritisch angemerkt wird, dass es fraglich ist, ob insbesondere für zeitgenössische und experimentelle Formen genügend Publikum in Linz vorhanden ist. Offensichtlich wird zudem, dass die Basis für eine weitere Entwicklung in der Stadt vorhanden ist, da ein guter Mix an Einrichtungen und Initiativen vorhanden ist – von Anton Bruckner Privatuniversität über Landestheater mit dem neuen Musiktheater oder Posthof bis hin zu Theater Phönix und anderen, kleineren freien Tanz- und Theaterinitiativen – es aber noch an einer stärkeren Vernetzung und zusätzlichen Entwicklungen im Off-Bereich mangelt.

Der Musikbereich ist ein vielschichtiger und hat in seiner Differenziertheit zudem eine
lange Tradition in der Stadt. Dem gemäß sehen viele Interviewpartner_innen in der
Musik besondere Entwicklungspotenziale. Bei näherer Betrachtung der Antworten kommt es dabei zu einer relativ großen Streuung. Als Eckpfeiler werden u. a. genannt: Anton Bruckner Privatuniversität, ein neu ausgerichtetes Brucknerfest, das neue Musiktheater, Musikschulwerk, der wieder zu erneuernde Mythos der subkulturellen und alternativen Musikszene, Etablierung einer Jazz-Szene, übergreifende Ansätze in der Neuen Musik, ein neu zu gründendes themenspezifisches Musikfestival im Bereich der Popkultur oder die verstärkte Auseinandersetzung mit Themen wie Akustik. Eine klare Zielorientierung, welche Teilbereiche in der Musik zu entwickeln wären, sind nur schwer auszumachen.

Der dritte überdurchschnittlich häufig genannte Disziplinenkomplex ist jener der Medien, wobei es auch hier zu entsprechenden Differenzierungen kommt. Zentral sind dabei zum einen die Neuen Medien rund um die Ars Electronica, zum anderen der Filmbereich rund um das Crossing Europe Filmfestival. In manchen Antworten wird dabei auf eine stärkere Verschränkung dieser beiden Bereiche gedrängt. Zu den Neuen Medien ist anzumerken, dass es hier sowohl um Medienkunst als auch um Medienkultur und damit um Verschränkungen zu neuen Technologien, wissenschaftlichen Diskursen und Entwicklungen (z. B. die Einführung der Webwissenschaften an der Johannes Kepler Universität Linz) und gesellschaftspolitischen Entwicklungen (z. B. die Anstrengungen im Rahmen der Open Commons Region Linz, die Entwicklung der freien Medienlandschaft oder Verknüpfungen zum Lehrangebot in den Schulen) geht. Außerdem wird das Entwicklungspotenzial nicht nur bei der Ars Electronica verankert, sondern mehrfach betont kleinere Initiativen oder freischaffende Künstler_innen in diesem Bereich verstärkt aufzubauen. Im Filmbereich ist zusätzlich zu erwähnen, dass einige kritische Stimmen hinterfragen, ob sich Linz zu einer “Filmhauptstadt” entwickeln kann. Dazu würde es neben den angesprochenen Verschränkungen auch vermehrter Anstrengungen im universitären Bereich bedürfen.

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Der Verschränkung von Disziplinen kommt auch in der Kunst besondere Bedeutung zu, da sich dadurch neuartige Formen und Inhalte ergeben können. Hierfür werden – auch in den durchgeführten Interviews der vorliegenden Arbeit – immer wieder Begriffe wie Interdisziplinarität und Transdisziplinarität verwendet. Interdisziplinär bedeutet dabei nicht mehr als die Zusammenarbeit verschiedener Fächer, Sparten oder Disziplinen. Transdisziplinär bedeutet hingegen, dass ursprünglich interdisziplinär erarbeitete Ergebnisse sich als eigenständige Arbeitsgebiete in komplexen disziplinären Vernetzungen fortentwickeln (Beispiele hierzu finden sich in der Entwicklung der Nanotechnologie oder der Gender Studies).

Mehrfach, jedoch nicht so häufig wie die drei zuvor angeführten, werden außerdem folgende Disziplinen genannt, in denen besonderes Entwicklungspotenzial gesehen wird:

  • Die bildende Kunst inklusive der Fotografie, insbesondere durch notwendige Aufbauarbeit im Off-Space-Bereich und bei den Galerien, auch durch eine verstärkteUnterstützung des privaten Sammler_innenwesens.
  • Die Literatur, insbesondere neue Formen der Verschränkung von Literatur und Performance und von Literatur und Bild, wobei letzterem vor allem durch die Anstrengungen rund um das nextComic-Festival besonderes Potenzial zugeschrieben wird (auch weiter gedacht in Richtung Animation, Gaming, Neue Medien). Kritisch wird allerdings von einigen Interviewpartner_innen gesehen, dass ein korrespondierender universitärer Rückhalt im Bereich der Sprach- und Literaturwissenschaften in Linz noch fehlt.
  • Design und Architektur, wobei es hier um enge Verschränkungen zu Fragen derGestaltung des alltäglichen Lebens im urbanen Kontext geht.
  • Nur vereinzelt wird auf mögliche Potenziale im Zusammenhang mit experimentellen, aktionistischen und provokanten Kunstformen hingewiesen, die an der Schnittstelle Kunst – Gesellschaft agieren, außerdem auf die Notwendigkeit der Entwicklung von kulturwissenschaftlichen Angeboten.
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