KULTUR.VERÄNDERT.LINZ

Eine Stadt setzt auf Kultur

Linz hat in den letzten Jahrzehnten erfolgreich den Strukturwandel von einer klassischen Industriestadt zu einer dynamischen Wirtschafts- und Kulturstadt vollzogen. Die entscheidenden Weichen in Richtung Kulturstadt wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren gestellt. Mit der Eröffnung des Brucknerhauses (1974) und der Gründung des Brucknerfestes (1977) setzte Linz erste markante Akzente. 1973 eröffnete das Nordico Stadtmuseum und die seit 1947 bestehende Kunstschule der Stadt Linz wurde zur Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung – heute Kunstuniversität Linz – aufgewertet. Aus der 1966 gegründeten Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften entstand 1975 die Johannes Kepler Universität. Die Linzer Musikschule erlebte mit der Gründung des Oö. Landesmusikschulwerks (1977) eine strukturelle Aufwertung. Themen- und Aktionsfelder, die im österreichischen Kulturbetrieb bis dato eine untergeordnete Rolle spielten, wurden von Linz besetzt (forum metall 1977, Festival Ars Electronica 1979, forum design 1980, Prix Ars Electronica 1987), zudem schuf man Kulturangebote für die breite Bevölkerung (Klangwolke 1979, Pflasterspektakel 1987, Linzfest 1990) und erkannte der Sub- und Alternativkultur eine zentrale und förderwürdige Rolle zu (Stadtwerkstatt 1979, KAPU und Posthof 1984, Kulturzentrum HOF 1985, Kulturplattform Oberösterreich 1986, Theater Phönix 1989, Programmkino Moviemento 1990). Diese Phase kann daher als erste kulturelle „Gründerzeit“ bezeichnet werden, die 1990 im Jubiläumsjahr „500 Jahre Landeshauptstadt“ einen abschließenden Höhepunkt fand (Eröffnung Kinderkulturzentrum Kuddelmuddel und Musikpavillon, Erweiterung Posthof). In diesen Abschnitt fällt auch die Eröffnung von OK Offenes Kulturhaus OÖ (1989) und StifterHaus (1993) sowie die Gründung des afo architekturforum oberösterreich (1994).

Diese erste kulturelle Entwicklungsphase in Linz ist auch ein Spiegel ihrer Zeit, die von einer gesellschaftlich-kulturellen Öffnung und von den neuen sozialen Bewegungen geprägt war. Als erste Stadt in Österreich erkannte Linz im Anspruch von „Kultur für alle“ die Bedeutung der Demokratisierung der Kultur, die Wichtigkeit einer Erweiterung des Kulturbegriffs und der Schaffung des Zugangs zu kulturellen Angeboten durch Vermittlung und Partizipation. So entstanden im Kontext dieser Emanzipationsbewegungen auch in Linz neue Initiativen der freien Kunst- und Kulturszene, beispielhaft seien maiz (1994), servus.at (1996), Time’s up (1996), Radio FRO, KunstRaum Goethestrasse und FIFTITU% (1998) genannt. Vonseiten des damaligen Linzer Kulturamtes wurde die Stadtteilkultur-, Friedens- und interkulturelle* Begegnungsarbeit mit der Neukonzeption von Formaten und Angeboten verstärkt. In das Jahr 1996 fällt auch der Beschluss des Linzer Gemeinderates zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Linz.

Mit der Errichtung des Ars Electronica Center (1996), des Museums der Zukunft, verstärkte die Stadt Linz ihre kulturpolitische Schwerpunktsetzung auf Technologien und Neue Medien. Gleichzeitig festigte sich ab Mitte der 1990er-Jahre der Wunsch nach einer politischen Verankerung der Linzer Kulturentwicklung und nach langfristiger struktureller Absicherung und Entfaltung der kulturellen und künstlerischen Potenziale der Stadt. Im Herbst 1997 wurde der interessierten Öffentlichkeit der Linzer Kulturentwicklungsplan im Grundlagenentwurf präsentiert, dem Linz im Jahr 1998 – besonders im Rahmen des Europäischen Kulturmonats – eine breite Diskussion widmete. Anfang 2000 wurde der „KEP“ vom Gemeinderat der Stadt Linz als eines der ersten österreichischen strategischen Kulturleitbilder beschlossen.

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts kam es nicht zuletzt in Vorbereitung zum Europäischen Kulturhauptstadtjahr Linz 2009 zu einem weiteren Investitionsschub in die kulturelle Infrastruktur der Landeshauptstadt: Neubau Lentos Kunstmuseum Linz (2003), Adaptierung der ehemaligen Volksküche für das afo architekturforum oberösterreich und die Künstlervereinigung MAERZ (2003), Neubau Wissensturm (2007), Erweiterungsbau Ars Electronica Center (2009), Neubau Südflügel Schlossmuseum (2009), Aus- und Umbau Oö. Landesbi-bliothek (2009) und Gründung des Atelierhauses Salzamt (2009). Höhepunkt dieser Linzer Erfolgsgeschichte war die Ausrichtung des Europäischen Kulturhauptstadtjahres Linz 2009. Mit der Eröffnung des OÖ Kulturquartiers (2011), dem Neubau des Musiktheaters am Volksgarten (2013) sowie der Anton Bruckner Privatuniversität (2014), jeweils getragen vom Land Oberösterreich, kommt das infrastrukturelle Ausbauprogramm zu einem vorläufigen Abschluss. Die Entwicklung der 2009 durch die Stadt Linz angekauften ehemaligen Linzer Tabakfabrik, die in Teilen ebenfalls künstlerischer und kreativer Produktionsort werden soll, stellt eine weitere Chance für die kulturelle Zukunft der Stadt dar. Die Stadt Linz verfügt demnach über eine – gemessen an ihrer Größe – beispielgebend flächendeckende und leistungsfähige kulturelle Infrastruktur.

Ein weiteres bedeutsames Aufgabenfeld, zu dem sich die Stadt aufgrund ihrer Rolle als eine der „Führerstädte“ Hitlers politisch und moralisch in vorbildlicher Weise bekennt, war und ist die aktive Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema manifestiert sich in zahlreichen, insbesondere vom Archiv der Stadt Linz betreuten Publikationen und Ausstellungsprojekten. Neue Formen der Zeitgeschichtevermittlung zeigte das Linz09-Jahr auf. Diese Wege werden weitergedacht und -entwickelt.

Linz ist nicht zuletzt aufgrund des vorhandenen Angebots im Kunst- und Kulturbereich zu einer Stadt mit europäischem Format aufgestiegen, zu einer sogenannten Second City*, die auch kulturtouristisch seit dem Kulturhauptstadtjahr einen neuen Boom erlebt. In diesem Zusammenhang sind neue Festivals wie Crossing Europe Filmfestival, Schäxpir Theaterfestival für junges Publikum, Festival 4020. mehr als Musik oder Nextcomic zu erwähnen, die Linz im letzten Jahrzehnt zusätzlich zu bestehenden Festivalformaten wie Brucknerfest und Ars Electronica zu einer international wahrgenommenen Stadt gemacht haben. Die substanzielle Basis für das lebendige Kulturgeschehen in Linz bildet seit jeher eine Vielzahl von Persönlichkeiten und künstlerischen Vereinigungen, die mit ihrem Kunstschaffen in Architektur, bildender und darstellender Kunst, Design, Film und Fotografie, in Neuen Medien, Musik und Literatur das künstlerische und kulturelle Geschehen auf lokaler, aber auch auf österreichischer und internationaler Ebene prägen. Linz wird damit seiner Rolle als Landeshauptstadt Oberösterreichs gerecht, nicht nur als Verwaltungs-, Bildungs- und Wirtschaftszentrum, sondern auch als zentraler Kulturversorger für 1,4 Millionen OberösterreicherInnen.

Für die nächsten Jahre gilt es, nach der Schaffung der „Hardware“ konsequent an der Weiterentwicklung und Verbesserung der „Software“ zu arbeiten. In diesem Sinne ist auch der neue Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz zu verstehen.

Kulturentwicklungsplan neu

Der neue Kulturentwicklungsplan, der für die nächsten 10 bis 15 Jahre Gültigkeit haben soll, versteht sich als verbindliches, auf breiter Basis erstelltes kulturpolitisches Strategiepapier, mit dem die kulturelle Dynamik in der Stadt für die nächsten Jahre gesichert werden soll. Er definiert den kulturpolitischen Handlungsrahmen, der strategische Ziele formuliert, entsprechende Maßnahmen festschreibt, aber auch genügend Spielraum für kommende Entwicklungen und Herausforderungen offen lässt. Dabei zeigen vier Leitlinien, denen jeweils drei kulturpolitische Schwerpunkte zugeordnet sind, die Richtung an:

  1. Chancengleichheit erhöhen
  2. Potenziale fördern
  3. Zugänge schaffen
  4. Stadt öffnen

Die vier inhaltlichen Säulen des ersten Kulturentwicklungsplans aus dem Jahr 2000 – „Kultur für alle“, „Neue Medien und Technologien“, „Freie Szene“ und „Offene Räume“ – wurden neu interpretiert und eingearbeitet. Stadtspezifische Profile lassen sich aus dem Kulturentwicklungsplan ebenso herauslesen wie globale Themen. Linzbezogen und damit im Sinne eines Linzprofils tauglich sind das Bekenntnis zur freien Kunst- und Kulturszene sowie zum besonderen Stellenwert der digitalen Medienkunst*, die Aufarbeitung des Erbes des Nationalsozialismus sowie ein im Sinne von „Kultur für alle“ gestalteter Vermittlungs- und Partizipationsansatz. Globale Themen wie die zunehmende Bedeutung von internationalen Netzwerken, die Interdisziplinarität* in Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft sowie Chancengleichheit in Bezug auf Barrierefreiheit, Interkulturalität*, Gendergerechtigkeit* und kulturelle Bildung sind im Gesamtkontext des neuen Kulturentwicklungsplans mindestens ebenso zentral. Wichtige Impulse für eine verstärkte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und urbanen Fragestellungen setzte die Europäische Kulturhauptstadt Linz 2009, für deren nachhaltige Wirkung unter anderem der neue Kulturentwicklungsplan sorgen wird.

Die insgesamt zwölf Kapitel des neuen Kulturentwicklungsplans umfassen jeweils einen Text, der die Ziele und Visionen der Linzer Kulturpolitik zum entsprechenden Thema formuliert, und eine Auswahl an Maßnahmen, mit denen eine konkrete Umsetzung der Ziele möglich ist.

Wie der erste Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz versteht sich auch die Neufassung als „work in progress“. Ziele und Maßnahmen sind nicht endgültig festgeschrieben, sondern der neue Kulturentwicklungsplan soll weiterbearbeitet und in Bezug auf zukünftige Entwicklungen, veränderte Rahmenbedingungen und neue Herausforderungen offen und flexibel sein. Alle drei Jahre, das heißt 2016, 2019, 2022 und 2025, wird der Gemeinderat der Stadt Linz über den Realisierungsstand des Kulturentwicklungsplans informiert. Für diese Berichterstattung werden in Zusammenarbeit mit dem Stadtkulturbeirat Linz die Umsetzungsfortschritte evaluiert, die Maßnahmen hinsichtlich ihrer Relevanz und Vollständigkeit überprüft sowie neue Maßnahmen eingearbeitet.

„Kultur für alle“ im 21. Jahrhundert

Als übergeordnete kulturpolitische Zielsetzung für den neuen Kulturentwicklungsplan fungiert das nach wie vor gültige Prinzip einer „Kultur für alle“. Dieser Anspruch setzte sich in den 1970er-Jahren ausgehend von der Bundesrepublik Deutschland im Zuge des gesellschaftlichen Aufbruchs nach 1968 als kulturpolitische Maxime auch in Österreich durch. Neben einer Demokratisierung der Kultur(politik) und Erweiterung des Kunst- und Kulturbegriffs wurden unter diesem Ziel emanzipatorische Maßnahmen zur Förderung von Partizipation und kultureller Selbstorganisation sowie die Befähigung des Einzelnen zur ästhetischen und inhaltlichen Rezeption von Kunst und Kultur im Sinne einer Humanisierung der Gesellschaft verstanden. Linz hat als erste Stadt Österreichs „Kultur für alle“, die immer auch eine „Kultur durch alle“ meint, forciert und vielfach umgesetzt. Neben der Schaffung von neuer kultureller Infrastruktur wurden etwa Förderprogramme im Sinne eines weit gefassten Kulturbegriffs ausgebaut und Formate entwickelt, die niederschwellige Zugänge zu Kunst und Kultur ermöglichen.

Mittlerweile haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einer „Kultur für alle“ wesentlich geändert. Um den Begriff neu aufzuladen und zeitgemäß zu interpretieren, bedarf es der adäquaten Berücksichtigung dieser Veränderungen, die mit Schlagworten wie Globalisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Ökologisierung, Internet- und Mediengesellschaft, Gendermainstreaming oder Interkulturalität sowie historischen Wegmarken wie dem Fall des Eisernen Vorhangs oder der Erweiterung der Europäischen Union beschrieben werden können. Für die Neudefinition des Begriffs bedarf es konzeptioneller Grundlagen und theoretisch begründeter Zielvorstellungen, die durch den neuen Kulturentwicklungsplan nun erfüllt sind. Aktuell bedeutet „Kultur für alle“ im Kontext von Linz Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass bestehende Zugangsbarrieren zu Kunst und Kultur weiter abgebaut werden, aber nicht durch eine qualitative Nivellierung des Angebots, sondern durch neue Ansätze in der Kunst- und Kulturvermittlung sowie durch aktives Partizipieren an künstlerischer und kultureller Produktion auf der Höhe der Zeit. Auch der möglichst barrierefreie Zugang zu digitalen Medien und Informationen, zum Beispiel im Zuge der Open Commons Region Linz, ist hier dazuzurechnen. Eine wesentliche Funktion auf diesem Weg nimmt dabei kulturelle Bildung ein. „Kultur für alle“ heißt heute, die unterschiedlichen Kunst- und Kulturformen als gleichwertig zu betrachten, die eigene Gestaltungsfähigkeit und Selbstermächtigung von Individuen zu fördern, die Bevölkerung in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen und hochkulturelle Angebote immer wieder auf ihre gesellschaftliche Relevanz zu überprüfen.

Ausgangspunkt aller Zielsetzungen und Maßnahmen im Kontext des neuen Kulturentwicklungsplans sind dabei immer die Stadt und die Bedürfnisse ihrer Menschen. Gleichzeitig ist das Bekenntnis zur künstlerischen Freiheit, zum Experiment und zu Diversität ein Garant für Fortschritt und Weiterentwicklung. Von Bedeutung ist dabei auch das Einüben in eine ästhetische Praxis, welche die Fähigkeit zur Unterscheidung und Differenz in einer pluralistisch organisierten Gesellschaft als Bedingung für ein aufgeklärtes, verantwortungsvolles Handeln sicherstellt. In diesem Sinne nimmt die Auseinandersetzung und Beteiligung an Kunst und Kultur eine Schlüsselrolle in einer offenen Stadt ein.

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