Jakob Dietrich

Geburtsjahr und Geburtsort?

Jakob Dietrich: 1976 in Linz.

Du lebst in Linz?

Jakob Dietrich: Ja.

Seit wann?

Jakob Dietrich: Seit meiner Geburt.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Jakob Dietrich: Ich mache die Geschäftsführung bei qujOchÖ, nebenbei bin ich Mitglied von qujOchÖ, sofern es Mitglieder gibt, und informell so etwas ähnliches bei der Nomadenetappe. Abgesehen davon mache ich das Doktorat an der Kunstuniversität und versuche nebenbei meine eigenen Projekte zu konzipieren und durchzuführen, in künstlerischen und musikalischen Zusammenhängen.

Gibt es irgendwelche Funktionen in Jurys oder Gremien, wo du in letzter Zeit aktiv warst?

Jakob Dietrich: Aufgrund meiner hochschulpolitischen Karriere in der ÖH war ich so ziemlich in allen Gremien, die eine Universitätsstruktur herausbringt.

Wie würdest du die eigene Tätigkeit am ehesten bezeichnen? Geschäftsführer von qujOchÖ und Mitglied der Nomadenetappe?

Jakob Dietrich: Keine Ahnung, vielleicht Künstler und aktives Mitglied in beiden.

Zu den Einrichtungen. Wann würden diese gegründet?

Jakob Dietrich: qujOchÖ 2001, die Nomadenetappe 2009. qujOchÖ ist als freie Initiative entstanden, die an den Schnittstellen von experimenteller Kunst und Wissenschaft agiert. Die Nomadenetappe ist aus einer Ateliergemeinschaft an der Kunstuniversität entstanden, wo sich einige Studierende zusammengefunden haben, die halbwegs einen ähnlichen Interessensbereich hatten, die gemeinsame Projekte gemacht haben und ziemlich lange aufgrund der recht angenehmen Infrastruktur der Kunstuniversität auch dort waren, bis sie diese rausgeschmissen hat. Dann war die Frage, wo findet man etwas, wo findet man einen Platz, wo findet man Raum, wo finden wir einen gemeinsamen Platz, eine größere Fläche, wo wir gemeinsam Einzelprojekte machen können und sich auch etwas Kollaboratives entwickeln kann. Das war dann im Sommer 2009, wo wir Räumlichkeiten gefunden, in einem ehemaligen Autohaus in der Dametzstraße. Das Ganze hat dann mit dem Abriss des Gebäudes geendet. Durch Zufall haben wir dann eigentlich an der Unteren Donaulände 12 in den ehemaligen Räumlichkeiten des Plattengeschäftes „Contrust“ einen Raum gefunden, der direkt an das Hauptquartier von qujOchÖ, Untere Donaulände 10, angrenzt.

Welche Zielgruppen werden deiner Meinung nach durch die Arbeit von qujOchÖ bzw. der Nomadenetappe besonders angesprochen?

Jakob Dietrich: Bei qujOchÖ geht es mehr um das Ansprechen von Nischenpublikum, eher jüngerem, akademischem, intellektuellem Publikum, das mit experimenteller, avantgardistischer Kunst von Audio und Video über Performance bis hin zu Installationen umgehen kann. Bei der Nomadenetappe ist es total unterschiedlich. Wir sind in diesen Räumlichkeiten erst seit Mitte Dezember und haben dementsprechend noch nicht so viele Projekte realisiert oder präsentiert. Die paar Projekte, die passiert sind, da kann man sagen, das ist eher dieses eingeschworene Kunst- und Kultur-Off-Publikum aus Linz.

Auf welchen geografischen Wirkungsbereich zielt die Arbeit in erster Linie ab?

Jakob Dietrich: Bei qujOchÖ gibt es zum einen Projekte, die stark auf Linz abzielen. Das reicht von Konzerten bis zu site-spezifischen, künstlerischen Arbeiten. Daneben gibt es seit einigen Jahren das Bestreben, überregional und international tätig zu sein. In den letzten Monaten war qujOchÖ zum Beispiel auf Einladung eines Künstlerkollektivs in Innsbruck oder auf Einladung des steirischen herbst in Graz, dazu kommen internationale Einladungen. Eines unserer aktuellen Projekte führt uns zum Beispiel nach Stuttgart, wo wir experimentelle Stadtführungen erarbeiten. Bei der Nomadenetappe zielt die Arbeit in erster Linie auf Linz und die nähere Umgebung ab, wobei wir aber auch das Bestreben haben – gerade aus vernetzungstechnischer Hinsicht – uns Österreichweit oder international auszubreiten. Den ersten Versuch machen wir jetzt gerade mit einer Projektgruppe, die zwar nicht direkt aus der Nomadenetappe heraus entstanden ist, aber die Nomadenetappe als Homebase verwendet und wo auch die Nomadenetappe der Platz für eine Rückeinladung sein wird. Da es geht um ein Kooperationsprojekt mit einem ähnlich gearteten Off-Space in Bristol in England, wo es einerseits eine Ausstellung geben wird von Linzer Künstlern und andererseits eine Ausstellung mit Künstlern aus Bristol. Die wird dann eben in den Räumlichkeiten der Nomadenetappe stattfinden. In die Richtung hätten wir schon einiges vor.

In welchen künstlerischen Disziplinen bzw. kulturellen Arbeitsfeldern sind die Einrichtungen hauptsächlich tätig?

Jakob Dietrich: qujOchÖ hat eine klar interdisziplinäre Ausrichtung und arbeitet an den Schnittstellen von Kunst und Wissenschaft. Die Projekte sind auf einzelne Plateaus aufgeteilt, die teilweise klassischen künstlerischen Disziplinen zugeordnet werden können: Audio/Video oder Interventionen zum Beispiel. Aber sehr oft kommt es zu disziplinären Grenzüberschreitungen. Da findet dann zum Beispiel in der Parkbad-Sauna etwas statt, wo ein Ingeborg-Bachmann-Preisträger einen poetischen Vortrag liefert – vor Sauna-Publikum – und dieser Vortrag in eine audiovisuelle Performance mit eingeladenen Künstlern übergeht. Dazu kommt dann noch eine Interventions-Ebene, bei der die Besucher mit gängigen Regel- und Ordnungsvorschriften von Saunen malträtiert werden. Bei der Nomadenetappe kann das auch schwer sagen. Es hat einmal das Bestreben gegeben, das ganze ziemlich offen zu halten, grundsätzlich bildende Kunst, Musik, Performance aufgrund der jetzigen Besetzung. Es ist aber prinzipiell offen für jegliche künstlerische Tätigkeit, Intonation, projektive Arbeit, was auch immer, wobei wir uns ein gewisses kuratorisches Mitspracherecht herausnehmen und nicht einfach nur einen freien Platz anbieten wollen, sondern das schon in eine bestimmte Richtung drängen wollen. Was diese Richtung genau ist, kann ich in ein paar Sätzen nicht sagen.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche Infrastruktur einen Handlungsbedarf, also den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Jakob Dietrich: Ja, das ist auf jeden Fall so. qujOchÖ ist seit zehn Jahren in den Räumlichkeiten, rund 100 m2 mit Innenhof. Dabei war es immer wichtig, dass befreundeten Künstlern und Kreativen rund zwei Drittel der Fläche zu äußerst günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, da ist nicht nur qujOchÖ drinnen, sondern auch ein Grafiker, ein Filmemacher, noch ein Grafiker, ein Medienkünstler, ein Fotograf und Creative Director, eine experimentelle Programmiererin und eine experimentelle Künstlerin. Mehr Raum wäre schon längstens notwendig, vor allem weil die Miete relativ hoch ist. Wir würden gerne die Miete an die Stadt Linz abführen, wenn es geeignete öffentliche Räume geben würde – Stichwort Tabakfabrik. Bei der Nomadenetappe ist es so, dass wir zwar räumlich halbwegs zurechtkommen, ursprünglich aber schon angedacht war – und das hat der vorherige Standpunkt in dem Autohaus erlaubt – Produktionsräumlichkeiten zur Verfügung zu haben, sprich Werkstatt, Labor, größere Ateliers. Das ist da jetzt absolut nicht der Fall, das ist eine reine Bürosituation mit einem ganz angenehmen, relativ kleinen, aber doch interessanten Ausstellungsraum. Da ist ebenfalls das Bestreben aus der jetzigen Besetzung heraus, größere Räumlichkeiten zur Verfügung zu haben, die einerseits eine bessere Infrastruktur aufbieten und in Hinsicht auf Produktion ermöglichen, vor Ort produzieren zu können und nicht immer ausweichen zu müssen auf die Werkstätten der Kunstuniversität. Natürlich passt das jetzt für die fünf Personen, die das jetzt sind, zwar mehr schlecht als recht, aber es geht sich aus, aber für die ursprüngliche Intention, mehr Platz zu haben und eine Fluktuation hineinzubekommen, abgesehen jetzt vom Kernteam, ist absolut kein Platz.

Wie sieht es mit den Personen aus? Wie viele sind beschäftigt? Und gibt es ehrenamtliche Aktivitäten?

Jakob Dietrich: Bei qujOchÖ gibt es eine unterdurchschnittliche bezahlte Teilzeitanstellung mit 15 Stunden für die Geschäftsführung, nicht zuletzt, da doch einiges mehr dran hängt wie die Koordination der Einzelinteressen aller Kreativen. Alle anderen Mitglieder, das sind im Kern noch weitere sechs bis sieben Personen, arbeiten grundsätzlich ehrenamtlich, wobei es bei einzelnen Auftragsprojekten wie zum Beispiel vom steirischen herbst, Honorare gibt. Die allerdings den Arbeitsaufwand natürlich bei Weitem nicht abdecken. Bei der Nomadenetappe gibt es keine Dienstverhältnisse, das ist bislang alles freiwillig. Das beruht auch darauf, dass wir für die Nomadenetappe erst letztes Jahr im Rahmen von LinzImPuls erstmalig eine Förderung bekommen haben. Da ist zwar ein minimaler Bestandteil für „Personalkosten“ drinnen, aber diese Förderung projektbezogen und es gibt bis jetzt keine laufende Förderung für die Struktur.

Wenn ein durchschnittliches Arbeitsmonat oder ein typisches Projekt betrachtet wird: Wie viele Personen sind schätzungsweise für die Einrichtung auf freiwilliger Basis tätig?

Jakob Dietrich: Bei qujOchÖ typischer Weise sechs bis sieben, manches Mal auch noch helfende Hände von außerhalb, die ehrenamtlich zuarbeiten. Bei der Nomadenetappe auf jeden Fall drei durchgehend und zwei andere Ehrenamtliche, die eher projektiv mitarbeiten.

Kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Jakob Dietrich: Natürlich würde ich Freie Szene dazuschreiben, weil mir nach wie vor nicht so wirklich klar ist, was das wirklich ist. Ich würde dazuschreiben, für eine Stadt mit einer Größe wie Linz relativ viele große Institutionen, fast zu viel große und teilweise uninteressante Institutionen mit relativ – aus Sicht zeitgenössischer Kunst – uninteressantem Programm. Wahnsinnig viele infrastrukturelle Ausgaben für etabliere Institutionen, schlechtes Kulturhauptstadtjahr.

Wenn du die letzten zehn Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Jakob Dietrich: Also besonders gut, da fällt mir jetzt eigentlich nichts ein. Das ist jetzt natürlich aus der eigenen Perspektive heraus. Natürlich laufen diese Standardgeschichten wahrscheinlich gut oder immer besser, diese kulturellen Jahresprogramme, welche die Stadt darstellen, laufen wahrscheinlich immer besser oder zumindest hat es für mich diesen Anschein. Aber das würde ich aus meiner Perspektive jetzt nicht als besonders positiv oder gut empfinden.

Und mit welchen kulturellen Entwicklungen der letzten zehn Jahre bist du überhaupt nicht zufrieden?

Jakob Dietrich: Ich habe mich bis vor zwei Jahren irrsinnig intensiv an der Kunstuniversität bewegt und habe mich immer wieder in der so genannten Freien Szene projektiv mit verschiedensten Initiativen beschäftigt bzw. war dort in Projekte eingebunden, habe dann aber trotzdem das meiste aus der internen Perspektive der Kunstuniversität gesehen. Natürlich gibt es da die ganz großen Aufhänger der letzten zwei Jahre, wie zum Beispiel die Tabakwerke, die von verschiedenster Seite beackert worden ist und wo es bis jetzt kein erkennbares – zumindest nach außen hin und auch nicht aus interner Gremiensicht – positives Zeichen für Kunst- und Kulturschaffende gibt. Da gibt es dann zwar Bestrebungen, auch über einen längeren Zeitraum, etwas vom architekturforum, die dann versuchen gegenzusteuern, aber das wäre eigentlich ein Paradefall für etwas, was total schlecht laufen kann, hinsichtlich der Möglichkeiten von Kunst- und Kulturarbeit in Linz. Aus einer internen Geschichte der Kunstuniversität, wo ich aber nicht weiß, inwieweit das interessant ist, zum Beispiel die Vollrechtsfähigkeit. Da ist 2002 der Universität quasi ein Leitbild aufgetragen und eine Profilbildung mehr oder weniger eingefordert worden und die hat die gesamte Kunstuniversität in Richtung der Neuen Medien, Medien, bewegt und viele andere Bereiche vernachlässigt, auch bis jetzt vernachlässigt, die aber trotzdem immer noch so attraktiv sind, dass man sie nicht schließt, aber über kurz oder lang verhungern lässt. Das hat jetzt zwar nicht direkt mit der Stadt Linz zu tun, aber das ist eine maßgebliche Institution von Linz. Ich habe das in Bezug auf meine ÖH-Tätigkeit immer wieder als sehr problematischen Schritt empfunden. Dann noch das Ausmaß der Investitionen in Linz, das ist natürlich auch ein Punkt. Da ist man schnell bei der Diskussion: Braucht Linz ein eigenes Musiktheater oder nicht oder braucht die Ars Electronica einen in der Dimension großen Anbau für das Futurelab? Ist das jetzt notwendig in Bezug auf eine breite Fächerung von Kunst und Kultur in einer Stadt? Das ist eine schwierige Diskussion, aber aus meiner Sicht braucht es das einfach nicht, jetzt auch in Relation zum Budget und den Möglichkeiten, die der so genannten Freien Szene und dem Umfeld zur Verfügung stehen.

Kannst du ein Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten geben?

Jakob Dietrich: Linz 09 war für mich eigentlich ein ziemliches Standardprogramm, aber begleitet von großen, aufgeblasenen Ankündigungen, die sich dann im Endeffekt – bis auf ein paar Ausnahmen – nicht großartig vom sonstigen kulturellen Jahresablauf in Linz unterschieden haben. Natürlich hat es ein paar interessante Projekte gegeben, aber es waren auf jeden Fall nicht jene, die groß angekündigt waren und die breitenwirksam angelegt waren. Ich versuche gerade, zu überlegen, weil ich habe schon einige Kulturhauptstädte mitbekommen. Das jetzt im Vergleich zu sehen ist schwer, weil ich bei ein paar Sachen auch beteiligt war, aber trotzdem immer diese externe Position hatte. Zum Beispiel 2004 war die Kulturhauptstadt in Lille. Ich habe dort versucht, mit lokalen Künstlern ins Gespräch zu kommen, was die Einbindung betrifft. Aber das ist aus einer externen Position passiert und insofern kann ich es nicht so gut beurteilen. In Linz ist dieses Ansinnen von vornherein bzw. der Grund, warum es überhaupt Linz geworden ist, recht positiv vorgekommen, aber im Endeffekt hat sich das, wie sich gezeigt hat, nicht bewahrheitet oder hat auch nicht die Umsetzung gefunden, die Einbindung von lokalen Künstlern.

Womit kann Linz deiner Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck? Ist das nur reduziert auf die Ars Electronica?

Jakob Dietrich: Ich würde schon gerne diese großen Sachen aussparen, und ich glaube schon, dass die Vernetzung und die kleinen Geschichten in Linz halbwegs gut funktionieren, im Vergleich zu anderen Städten, zu gleich großen Städten sogar um einiges besser funktionieren. Auch wenn es nach wie vor, denke ich, an einigen Sachen ziemlich mangelt. Aber durch diese Vernetzung funktioniert die Einbindung in die Kulturpolitik der Stadt recht gut im Vergleich zu anderen Städten, im Vergleich zu Graz oder Innsbruck zum Beispiel, aus meiner Sicht.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird?

Jakob Dietrich: Das wird in erster Linie davon abhängig sein, in welchem Kreis man da dezidiert nachfragt. In erster Linie wird natürlich die Ars Electronica, als Kultur, die von Linz überregional hinausgeht, genannt werden, denke ich mir.

Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Jakob Dietrich: Zumindest aufgrund der großen Häuser müsste Hochkultur einen relativ großen Stellenwert haben in Linz. Wobei ich mir denke, dass die Volkskultur, soweit ich das jetzt richtig einordnen kann, schon einen wichtigeren Stellenwert hat, wenn man jetzt als Volkskulturveranstaltungen oder -institutionen das LinzFest, die Klangwolke oder das Pflasterspektakel bezeichnet. Wenn man sich den Zulauf dort ansieht und den Zulauf, den Stätten der Hochkultur wie beispielsweise das Lentos haben, das sich jetzt eh ein bisschen nach oben entwickelt hat … Das dritte war Subkultur. Da tue ich mir jetzt schwer mit der Schärfe des Begriffes. Ich weiß nicht, das ist irgendwie ein Phänomen der letzten paar Jahre. Vielleicht denke das nur ich, dass immer mehr versucht wird, was man jetzt landläufig unter Subkultur versteht, also nichts Etabliertes, irgendetwas im Off-Dasein Dahinvegetierendes, in einen regulären Kunst- und Kulturbetrieb rein zu bekommen, also mit bestimmten, kleinen Programmen jetzt rein zu bekommen. Und das ist in Linz aufgrund der Größe schon relativ hoch, dieser Anteil, in Bezug zu Wien etwa, wo es dieses Phänomen natürlich auch gibt, aber aufgrund der Vielfältigkeit und der ganzen Verteilung der freien Kunst- und Kulturszene das gar nicht so nachvollziehbar ist wie in Linz, was ein Vorteil, aber gleichzeitig auch ein Nachteil sein kann.

Wenn du einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachtest: Wo würdest du meinen, wäre in der Stadt noch besonderes Entwicklungspotenzial vorhanden? Wo du dir gedacht hättest, da wäre etwas da, da wären junge Talente da?

Jakob Dietrich: Ich weiß nicht, ob man das disziplinenspezifisch sagen kann. Ich glaube, dass es in verschiedensten Sachen ziemlich gute Projekte gibt, die sich entwickelt haben und die mittlerweile einige Jahre Erfahrung haben, die gut laufen und recht interessant sind. Ich weiß nicht, speziell auf eine bestimmte Disziplin, das könnte ich jetzt gar nicht sagen, umso mehr, da die Auseinanderhaltung der Disziplinen schwieriger wird und einzelne Geschichten dann sehr transdisziplinär angelegt sind.

Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen?

Jakob Dietrich: Ein riesiger Punkt ist die strukturelle Frage. Da fallen viele Punkte rein: Kohle, Kohle, Platz, nochmals Kohle, Verteilung. Ich meine, das sind natürlich die Punkte, die sofort auf der Hand liegen und brennen, wenn es um Entwicklung geht. Strukturell, weil es jetzt keine inhaltlichen Themen sind. Das sind natürlich kulturpolitische Inhalte, die behandelt, beackert, formuliert und durchgesetzt werden können und müssen. Dann ein weiteres Thema: Ansprechpersonen, Zuständigkeiten und Transparenz. Zum Beispiel die Tabakwerke. Was für Ebenen gibt es da? Und zwar so aufgearbeitet, dass man etwas schnell finden kann und sich nicht drei Monate damit beschäftigen muss und von Pontius zu Pilatus rennen muss, um zu wissen, wie ist das ganze Ding vorübergehend oder mittelfristig aufgebaut. So etwas, denke ich mir, wäre total wichtig. Das weiß ich auch aus eigener Erfahrung und das zieht sich durch. Das ist jetzt nicht nur auf große Geschichten wie die Tabakwerke bezogen relevant.

Inwieweit denkst du, dass Leerstände interessant für Kunst- und Kulturschaffende in Linz sind?

Jakob Dietrich: In erster Linie aufgrund der Möglichkeit, günstig Ressourcen nutzen zu können, sprich Platz bespielen bzw. verwenden zu können. Andererseits, weil Leerstände einfach nach einer gewissen Zeit eine Lücke in einem Gefüge aufmachen, in verschiedenster Art, sowohl im stadtplanerischen Gefüge als auch im sozialen Gefüge und insofern die Arbeit mit Leerständen und vor allem die längerfristige Arbeit mit und in Leerständen für mich interessant ist. Was für mich eher uninteressant ist, von der Herangehensweise, einen Leerstand einmal schnell für eine Ausstellung zu bespielen. Das ist zwar nicht vollkommen uninteressant, die Möglichkeit, eine Ausstellung zu machen, aber ich finde es einfach viel interessanter Leerstände über einen längeren Zeitraum mit einer bestimmten Projektion zu verbinden und dadurch auch in einem Mikrokosmos, in dem sich der Leerstand befindet, auch wenn es nur marginal ist, Veränderung oder Beeinflussung ausüben zu können.

Du hast das am Beginn anhand der Nomadenetappe beschrieben, wie diese Suchbewegung nach einem Leerstand abgelaufen ist. Kannst du diese Suche nach Raum für Nutzung noch etwas näher beschreiben? So wie ich das aufgefasst habe, diese verschiedenen Leerstände die man sich angesehen hat … die Tabakfabrik hat, glaube ich, auch immer eine Rolle gespielt, weil man versucht hat, Kontakt zu bekommen.

Jakob Dietrich: Die Suche war klassisch: Stadt erkunden, schauen, wo gibt es offensichtlichen Leerstand und insofern auch immer mit Abenteuer und Erforschen verbunden, Umherstreifen und dann Auskundschaften, wem das gehört, zu Gericht laufen müssen und im Grundbuch nachsehen. Das ist eigentlich alles immer relativ flott gegangen, zu erkunden, wem Sachen gehören, wenn das nicht ohnehin bekannt war. Zum Großteil waren das Privatimmobilien, die entweder einer Firma gehört haben oder wirklich Privatpersonen und zum Großteil – das liegt immer in der Natur der Sache – mit irgendwelchen komischen und schwierigen Verhältnissen verbunden waren. Da gibt es einen riesigen Leerstand, der seit Jahren nur deswegen leer steht, weil die Erbschaftsverhältnisse einfach nicht klar sind und da gibt es irgendeine alte Frau, die das nicht eindeutig weiter gibt und die Jungen nicht miteinander können. So sind wir von Privatpersonen bis zu Firmen hin- und hergelaufen, was eigentlich so gut wie immer mit einer Absage in Verbindung stand, gerade auch deswegen, weil wir halt von vornherein gesagt haben, wir würden das nicht nur für zwei Wochen gerne bespielen, sondern wir würden gerne ein längerfristiges Projekt drinnen machen, mindestens ein Jahr. Und ein Jahr ist immer das Minimum gewesen für was wir angefragt haben. Das ist irgendwie der Zeitraum, wo wir gesagt haben, ab dem es sinnvoll ist, für unsere Vorhaben einen Leerstand zu bespielen. Bis eben zu den Tabakwerken, wo wir auch ein kleines Konzept eingereicht haben und da auch herumgerannt sind bis wir einmal gewusst haben, wo wir überhaupt hin müssen und das dann von den anscheinend zuständigen Personen unterschiedlich bewertet und aufgenommen wurde und Feedback gegeben wurde in Bezug auf Möglichkeiten und auf die Möglichkeit der Realisierung eines Projektes.

Du hast gesagt es sind viele dieser Leerstände in privatem Besitz gewesen. Welche Maßnahmen könnte die Stadt setzen, um die Nutzung von Leerständen zu erleichtern, jetzt abseits der Tabakfabrik?

Jakob Dietrich: Sie könnte zum Beispiel ein Gesetz beschließen wie es die Stadt Rotterdam gemacht hat oder wie das ein paar Städte in Holland gemacht haben, zur Nutzung von Leerstand, wodurch die Leerstelle ganz schnell verschwinden würde. Das ist eine recht einfache Geschichte, aber sehr effektiv und funktioniert – es ist auch schon drei bis vier Jahre her, seitdem ich in Rotterdam war und das mitbekommen habe, aber es funktioniert eigentlich ziemlich gut und ist in keiner Weise in Verbindung mit den Befürchtungen, die immer wieder geäußert werden in Bezug auf Leerstände und länger- oder mittelfristige Weitergabe an teils ungewollte BewohnerInnen. Das wäre eine Möglichkeit, wo ich mir denke, die sehr effektiv sein kann. Natürlich gibt es Möglichkeiten, wie einen Katalog oder eine Vermittlungsagentur zu machen für Leerstände, wobei ich mir denke, dass das viele Schwierigkeiten mit sich bringt, allgemeine strukturelle und ablaufbürokratische Schwierigkeiten und vielleicht gleich ein anderes Klientel auf den Plan ruft.

Letzte Frage in dem Themenblock. Zur Tabakfabrik. Was würdest du dir hinsichtlich der Tabakfabrik wünschen?

Jakob Dietrich: Ich habe versucht , das Thema aus verschiedensten Positionen zu betrachten, einerseits durch Veranstaltungen, die in den Tabakwerken passiert sind, anderseits durch den Versuch, ein eigenes Projekt mit der Nomadenetappe drinnen zu machen und wieder andererseits zum Beispiel über die Veranstaltungen des architekturforum. Was ich mir wünschen würde, dass das Ganze viel unprätentiöser auch auf politischer Ebene behandelt wird. Auch so Aussagen wie „Wir schauen uns jetzt einmal um und schauen uns europäische Vergleichsprojekte an und destillieren das dann heraus, was das ‚Beste‘ ist und das machen wir dann dort.“, finde ich einen absoluten Irrweg gegenüber der Möglichkeit, die sich aufgrund einer Öffnung – nicht des gesamten Gebäudes, aber eines Teils davon – ohne dezidierte Widmung ergeben würde. Das würde ich mir wünschen, dass es nicht so generalstabsmäßig geplant wird wie es jetzt den Anschein hat. Alles was in diese generalstabsmäßige Planung hineinpasst, wird dann Platz haben und alles andere wird keinen Platz haben. Wobei es natürlich verständlich ist, dass man jetzt aus Sicht der Stadt uninteressante Sachen verhindern will und das über die Möglichkeit eines Vergleichs internationaler Referenzprojekte und dem Destillat der guten Eigenschaften ein guter Weg ist, das durchzusetzen.

Danke für das Interview.

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