Dagmar Höss

Geburtsjahr und Geburtsort?

Dagmar Höss: 1969 in Wels.

Du lebst in Wien und in Linz?

Dagmar Höss: Linz ist mein Hauptwohnsitz und Wien ist mein Zweitwohnsitz und meine Arbeitsstelle. Also meine einzige reguläre, fixe, längerfristige Arbeitsstelle.

Also du pendelst zwischen Linz und Wien?

Dagmar Höss: Ja genau.

Seit wann lebst du in Linz?

Dagmar Höss: Ja, mit vielen Unterbrechungen eigentlich seit den 1990er-Jahren.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Dagmar Höss: Nicht in Linz angesiedelt ist die Arbeit in der IG Bildende Kunst in Wien. Da war ich über viele Jahre im Vorstand. Das ist quasi eine Art Dachverband der bildenden Künstler Österreichs, eine bundesweite Organisation. Und hat natürlich einen kulturpolitischen Schwerpunkt in der Tätigkeit. Ich bin dort allerdings nicht zentral für die kulturpolitischen Fragen zuständig, sondern wir haben einen experimentellen Ausstellungsraum, den ich programmatisch betreue. Darüber hinaus verstehe ich meine Tätigkeit als eine Mischung aus künstlerischer Tätigkeit, das ist sozusagen was ich studiert habe, das ist meine Haupt-Profession, kuratorischer Tätigkeit und kunstvermittlerischer Tätigkeit. Also zwischen diesen drei Bereichen bewege ich mich, wobei ich eher die Position habe, dass es zwischen Kunstproduktion, kuratorischer Produktion und kunstvermittelnder Produktion so viele Überschneidungsbereich gibt, dass das gar nicht drei voneinander getrennte Bereiche sind, wie manche es gerne sehen würden. Ich sehe das selber als ineinander fließend.

Welche Funktionen übst du sonst noch aus?

Dagmar Höss: Bis vor kurzem war ich im Vorstand der Künstlervereinigung Maerz, kulturpolitisch Jein. Im Stadtkulturbeirat bin ich im Vorsitzteam. Ich bin im Vorstand des Festivals der Regionen. Das ist jetzt auch wieder kulturpolitisch gesehen, Jein, das ist halt so irgendetwas dazwischen. Ich habe eine Assistenz an der Kunstuniversität gehabt, bin da aber nicht mehr.

Wie würdest du deine eigene Tätigkeit am ehesten bezeichnen?

Dagmar Höss: Künstlerin, Kuratorin, Kunstvermittlerin.

Zur kulturellen Entwicklung, Situation und Zukunft von Linz. Ein kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Dagmar Höss: Institutionalisiert. Wenig Platz für Freie Szene. Gleichzeitig großer Schwerpunkt auf institutionalisierte Kunsträume. Starkes Wollen, als Kunst- und Kulturstadt wahrgenommen zu werden, aus den verschiedensten Ecken, sei es aus der politischen Ecke oder jener der KünstlerInnen. Großes Entwicklungspotenzial, vorausgesetzt, das Budget ist vorhanden.

Wenn du die letzten zehn Jahre, also die Jahre 2000 bis 2010, betrachtest: Was lief deiner Meinung nach besonders gut in der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz?

Dagmar Höss: Was ich schon wahrnehme in den letzten zehn Jahren ist, dass es in Linz aber auch generell eine Professionalisierung in der Kunst- und Kulturszene gegeben hat, sowohl an den Orten selbst, wo Kunst und Kultur stattfindet und passiert als auch bei den Leuten, die produzieren oder die umsetzen oder die finanzieren. Egal, ob man bei den Subventionsansuchen schaut, dass plötzlich Kleinfördertöpfe hoch professionalisiert auftreten und ein riesiges Formulargeschwader auszufüllen ist, bis man zum Geld kommt, eventuell. Die haben dazugelernt, die haben versucht, zu vereinheitlichen, transparenter zu gestalten, wie etwas ausgewählt wird. Bis hin zum Selbstverständnis der Künstlerinnen und Künstler aus den unterschiedlichen Bereichen und Sektoren. Was sind meine Rechte und Pflichten? Was sind meine Aufgaben? Was kann ich fordern? Was steht mir zu in der Kunst?

Fällt dir sonst noch etwas ein?

Dagmar Höss: Momentan nicht.

Und auf der anderen Seite, mit welchen kulturellen Entwicklungen der letzten zehn Jahre bist du überhaupt nicht zufrieden?

Dagmar Höss: Aus meiner Perspektive, und das höre ich auch immer wieder aus den Szenen, ist der Bereich der Freien Szene in mehrfacher Hinsicht unterversorgt bzw. dem gegenüber die institutionalisierte Kunst sehr stark betont. Es gibt im Verhältnis zur Größe von Linz, zur Einwohnerdichte einfach enorm viele Ausstellungshäuser oder Museen, institutionalisierte Plätze, wo etwas stattfindet. Ein riesiges Musiktheater ist in Planung etc. Und dem gegenüber ist dieser freie Off-Space-Bereich sehr minimalistisch gehalten. Da ist die Frage, was will man da? Was betont man auch damit?

Sonst noch irgendwelche Entwicklungen, mit denen du überhaupt nicht zufrieden bist?

Dagmar Höss: Vieles, was sich halt aus dieser Beobachtung heraus ergibt. Dass es halt wenige Räume gibt für kleine Geschichten, für Low-Budget-Produktionen. Es gibt wenige Orte, wo man ohne großen Aufwand, ohne Großbudget, ohne großes Trara auch etwas produzieren kann. Sowohl im Tanz … also freier Tanz ist eh komplett unterversorgt, was ich so gehört habe, aber auch kleine Off-Space-Theaterproduktionen und bildende Kunst sowieso, da gibt es ja hauptsächlich Institutionen

Wenn wir den Blick über Linz hinausrichten. Womit kann Linz deiner Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck?

Dagmar Höss: Das lässt sich, finde ich, ganz schwierig vergleichen. Salzburg hat eine komplett andere kulturelle Gewichtung. Da ist halt ausschließlich Eliten- und Hochkultur gefragt, sage ich jetzt einmal vordergründig. Vor allem in der Außenwahrnehmung, da gibt es die Festspiele, dann gibt es lange nichts, und dann gibt es noch das Museum der Moderne und dann kommt auch wieder lange nichts und so. Graz ist durch den steirischen herbst präsent und die Diagonale, aber hat dafür im Ausstellungsbereich … schätze ich sie eher ein bisschen schwach ein. Innsbruck ist wieder etwas anderes. Innsbruck hat durch die Tiroler Künstlerschaft irgendwie ganz schön zugelegt. Und Büchsenhausen und diese ganzen relativ kleinen, feinen Programme, die sehr gut betreut sind, sowohl inhaltlich als auch finanziell, könnte es wahrscheinlich besser sein, das weiß ich nicht so genau. Aber verglichen mit Linz. Also die Ars Electronica ist sicher eines der ersten. Wahrscheinlich kommt dann gleich einmal das Lentos. Aber das wären wahrscheinlich immer die zentralen … also der Prix, das AEC und dann das Lentos sind sicher die drei ersten, die mit irgendeiner Außenwahrnehmung ins Bewusstsein treten.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Und welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Dagmar Höss: Das ist jetzt natürlich schwierig einzuschätzen, weil klar, treffe ich Leute, die Linz kennen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, eben weil … Aber mir geht es eher so, dass ich Leute treffe, die Linz nicht kennen oder nicht gekannt haben und dann daher kommen und total begeistert sind. Also diese Variante kenne ich eher, dass es einem praktisch gar nichts vorher sagt, eventuell noch vom Prix, aber nicht einmal der, wenn man nicht gerade in der Szene drinnen ist, und dann der Aufenthalt da plötzlich das Bild total verändert. Und doch anscheinend, verglichen mit anderen Städten, auch eine lebendige Szene hat, also eine Fortgehszene, wenn auch ganz klein, und das ja auch das kulturelle Leben mitprägt.

Zur internationalen Wahrnehmung der Kulturstadt. Beschreibe bitte dein Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten.

Dagmar Höss: Aus einer sehr persönlichen Position heraus würde ich sagen, für mich persönlich war Linz09 insofern erfolgreich, oder war ein erfolgreicher Punkt, dass sozusagen unter anderem durch unser Projekt die Diskussion um Linz im Nationalsozialismus sehr angeregt wurde und stattgefunden hat auf den unterschiedlichsten Ebenen, auch in den unterschiedlichsten Qualitäten, muss man auch sagen. Das bewerte ich positiv, auch wenn die einzelnen Teile vielleicht noch besser hätten sein können, aber insgesamt finde ich das einen positiven Effekt bei so einem Event wie der Kulturhauptstadt. Generell finde ich, dass Kulturhauptstädte sehr schnell wieder in Vergessenheit geraten. Mir geht es selber so. Wenn ich irgendwo einmal war und mir ein paar Sachen angesehen habe, das ist wie halt irgendwo sein und eine Ausstellung ansehen oder irgendetwas ansehen. Wenn es jetzt nicht wirklich der volle Knaller war und dich richtig beeindruckt hat, dann bekommt man immer nur so eine homöopathische Dosis mit, als Besucherin, als Besucher. Insofern vermute ich halt einmal, dass der Außeneffekt von Linz09, um eine Gesamtwirkung, oder eine Außenwirkung, um das kulturelle Image der Stadt zu prägen, das schätze ich eher gering ein. So wie es halt umgekehrt auch ist, unsere Wahrnehmung von irgendwelchen Kulturhauptstädten der letzten Jahren. Ganz misslungen habe ich diese hierarchisierte Struktur innerhalb der Organisation Linz09 gefunden. Also wie, wer, wo etwas zu sagen gehabt hat. Wie, was, wo, wann kontrolliert worden ist, von wem. Dieser unglaubliche Schwall an hierarchischen Strukturen. Da bin ich mir ganz sicher, dass es viel bessere Möglichkeiten gegeben hätte, als diese Form zu wählen.

Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Dagmar Höss: Gestört. In einem Missverhältnis stehend.

Inwieweit?

Dagmar Höss: Getrennt jetzt durch die bereits mehrmals erwähnte Institutionalisierung, geht halt der Trend schon in Richtung Betonung der Hochkultur. Grundsätzlich bin ich ja nicht ein Gegner von Hochkultur, aber wenn es die einzige ist oder dort halt wirklich im Verhältnis dazu viel mehr Geld hineingesteckt wird, was meistens der Fall ist, weil die Produktionen viel größer sind und viel aufwändiger sind. Es gibt halt nur ein Gesamtbudget und die Verteilung wirkt sich natürlich auf die Subkultur bzw. auf die Volkskultur auch aus. Wobei für mich ist der Begriff der Volkskultur ein bisschen ein schwieriger, muss ich sagen. Volkskultur ist eher die Subkultur auch, weil wer ist das Volk, oder? Damit bezeichnet man – kommt mir vor – oft eher diese Ecke der traditionelleren kulturellen Aktivitäten wie Blasmusik und was weiß ich, Volkstanz etc. Der Stellenwert von dem in Linz ist ganz schwer einzuschätzen, weil man halt vor allen Dingen das wahrnimmt, aus den Szenen, in denen man sich bewegt. Ich gehe nie auf klassische Populär- oder Volkskulturevents. Weder auf das Kronefest noch sonst irgendetwas in diese Richtung, weil ich das nicht aushalte. Somit bekomme ich das auch nicht mit und tue mir auch schwer mit der Einschätzung, welchen Stellenwert das haben könnte. Wenn zum Beispiel das Pflasterspektakel dazugehören würde, dann würde ich meinen, es ist relativ hoch eingeschätzt oder wird sehr intensiv angenommen, kommt mir vor. Weil da halt wahnsinnig viele Leute hinrennen, weil da auch ein leichter Zugang ist, wo man leicht reinkommt, wo man wenig dafür tun muss, wenig dafür wissen muss. Es wird einem leicht serviert und es ist ein leichter Konsum. Aber das ist jetzt gemein, die gesamte Volkskultur in diesen Topf rein zuwerfen.

Wenn du einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachtest: Wo würdest du meinen, wäre in der Stadt noch Entwicklungspotenzial vorhanden?

Dagmar Höss: Besonderes Entwicklungspotenzial würde ich jetzt interpretieren auch in Richtung, es ist noch zuwenig vorhanden. Also auf jeden Fall, ich meine, ich bin nicht aus der Szene, aber ich kenne viele Leute in der Szene, Tanzszene zum Beispiel, und weiß eben, dass dort einiges los ist. Dass es halt doch eine Reihe von Leuten gäbe, die da aktiv werden wollen. Aber es gibt keine Räume, weder Proberäume noch Aufführungsräume, noch ordentliche Fördergelder. Also der freie Tanzbereich ist sicher einer, der abgesehen vom Ballett in der Institution oder den Modern-Dance-Geschichten … Auf jeden Fall ist es der Tanz- und Performancebereich. Ob es der Theaterbereich auch ist? Ich vermute schon, weil es auch da jetzt sehr stark an Institutionen hängt. Aber noch viel mehr hat es der Tanz notwendig. Da gäbe es Potenzial. Ich meine, ich persönlich sehe auch im bildenden Kunstbereich, also was Off-Space betrifft, sehr viel Potenzial. Weil dieses Hochkulturgetue, wie es halt gerne kommuniziert und produziert wird, das hat schon seine Berechtigung und ist auch wichtig, aber dem gegenüber muss es auch einen anderen Kunstbegriff noch geben. Und der existiert ja. Er kann sich halt oft nur ganz schwer zeigen, das ist mein Gefühl. Der ist halt da und dann kommt ein Kulturhauptstadtintendant und behauptet, es gibt keine Freie Szene. Ja wie auch, wo auch? Also es gibt sie, nur sie kann sich halt nicht zeigen. Das ist halt mein Eindruck.

Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen?

Dagmar Höss: Platz und Leerstände, sicher. Förderungen, also vor allem Förderungen von Einzelprojekten, Kleinprojekten oder auch die Zugänglichkeit zu Fördermitteln, Transparenz bei der Fördergeldervergabe, letztlich sehr existentielle Fragestellungen, weil halt der Kunst- und Kulturbetrieb im Prinzip sehr prekär ist, auch wenn das gerne weggeredet wird, weil es eh schon so viele Förderungen gibt. Ich glaube, dass mit diesen beiden Themen wahrscheinlich schon das meiste abgedeckt wird.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Zuerst zu Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnisse und Sozialer Lage. Wenn du dein näheres kulturelles bzw. künstlerisches Umfeld betrachtest: Welche Arbeitsverhältnisse dominieren hier?

Dagmar Höss: Günstigstenfalls freie Dienstverträge, aber eher auf Werkvertragsbasis, oder vertragslose Arbeitsverhältnisse.

Wie würdest du die Arbeitsbedingungen beschreiben, unter denen du arbeitest?

Dagmar Höss: Ich kann das wahrscheinlich in zwei Sätzen zusammenfassen. Derzeit bin ich abgesichert durch die Möglichkeit eines fixen Anstellungsverhältnisses. Würde ich das nicht haben, dann wäre meine Lebens- und Arbeitssituation von Monat zu Monat, meistens prekär.

Inwieweit sind diese Arbeitsbedingungen, die du kurz skizziert hat, typisch für den Kunst- und Kulturbereich in Linz?

Dagmar Höss: Ich glaube, dass sie typisch sind. Ich glaube, dass in der Regel sehr viele Kunst- und Kulturschaffende versuchen, über fixere Arbeitsverhältnisse, auch wenn es nicht Angestelltenverhältnisse sind, aber regelmäßige Auftragspartner, regelmäßige Einkünfte zu haben, um sich ein gewisses Fixum zu sichern und darüber hinaus halt projektorientiert zu arbeiten. Ich glaube, dass die Tendenz ganz stark da ist und dass das auch eine sehr riskante Form des Lebens und Arbeitens darstellt.

Welche Maßnahmen könnte die Stadt Linz setzen, um die Arbeitsbedingungen und die soziale Lage für Kunst- und Kulturschaffende zu verbessern? Gibt es überhaupt Möglichkeiten?

Dagmar Höss: Jein. Ich meine, es gibt viele Ebenen, auf denen man etwas tun muss, nicht nur, was jetzt die Einkünfte betrifft, sondern es betrifft ja auch Versicherungsverhältnisse. Da gibt es ein großes Bestreben der IG Bildende Kunst, aber auch der anderen IGs in den interministeriellen Arbeitsgruppen, diese schon unter Morak gegründete Künstlersozialversicherung, so genannte muss man leider sagen, in eine wirklich halbwegs vernünftige Form zu bringen. Und das ist ein wahnsinnig langfristiger Prozess. Da hat es ab 1. Jänner 2010 einige Änderungen gegeben in der Regelung, einige Verbesserungen, viele, viele Dinge, aber gleichzeitig bezieht sich dieses Versicherungspaket in keinster Weise und überhaupt nicht auf die realen Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen und Künstlern. Ich lege ja, wenn ich Künstlerin bin, nicht oder eigentlich niemals meine Arbeit irgendwie nieder im klassischen Sinne. Wo fängt das an und wo hört das auf? Darf ich jetzt dann meine Notizen nicht mehr aufschreiben, gilt das auch schon als Arbeit und und und? Auch die Ausfallsversicherungen, also bei Krankheit oder bei Arbeitsunfähigkeit etc.

Gibt es sonst noch Maßnahmen, die du in Linz setzen würdest?

Dagmar Höss: Es hängt letztlich immer mit der Geldervergabe zusammen und wenn sich die Kulturpolitik dafür entscheidet, dass sie eher Institutionen fördern möchte, wirkt sich das natürlich auf alle Einzelkünstler und Miniprojekte und Projektbetreiberinnen aus. Insofern wäre das eines der ersten Themen, dass man sich ansehen müsste, wie viel Förderungen bekommt wer und woher? Wie lässt sich das umlegen? Oder könnte es einen Schlüssel geben, auch für Kleinstprojekte, für die Freie Szene etc.? Ich wäre ja grundsätzlich, aber das hat auch nicht direkt mit der Stadt zu tun, für ein Grundeinkommen für Alle. Das finde ich, ist eine legitime Überlegung. In so einem Staat wie Österreich, der wirklich zu den reichsten der Welt gehört, könnte man sich so eine Überlegung durchaus leisten.

Förderung und Finanzierung ist unser nächster Themenbereich. Welche Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten nutzt du für dich selbst bzw. für deine künstlerische Tätigkeit?

Dagmar Höss: Nutzen ist gut. Ich bin heuer mit dem LinzEXPOrt in London. Also ja, auf allen Ebenen, der Versuch ist immer da, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich kenne halt viele KünstlerInnen und mir geht es genauso, dass man manchmal einfach entscheidet, man sucht im Jahr um so und so viele Förderungen an, egal wo und überlegt sich da etwas, schreibt Konzepte, macht Portfolios, visualisiert etc. Dann kommt dabei genau irgendwie nichts raus. Das ist einfach ein irrsinniger zeitlicher und Ressourcenaufwand, den man sich genau überlegt. Leider sind die Förderungen für mich nicht wirklich transparent, nach welchen Kriterien dann ausgewählt wird letztlich. Man kann, auch wenn jetzt eine Jury da sitzt oder der Beirat, nicht einschätzen vorher, wie die sich entscheiden oder was die denken. Insofern ist das immer halt ein Roulettespiel.

Welche positiven Punkte fallen dir in Zusammenhang mit der Förderung von Kunst und Kultur durch die Stadt Linz ein?

Dagmar Höss: Diese Broschüre, die gerade wieder versendet wurde mit den unterschiedlichen Förderprogrammen, das finde ich schon mal ganz ok, auch von der Kommunikationsebene her. Es wird da eigens eine Broschüre gemacht, die wird auch an die Kunst- und Kulturschaffenden verschickt, es gibt auf der Website Informationen. Es gibt relativ langfristige Möglichkeiten, einzureichen und es geht nicht alles innerhalb eines Monats, sondern es ist in Stufen gegliedert. Das würde ich jetzt einmal grundsätzlich als positiv bewerten. Aber mit solchen Projektförderungen kann man halt wie gesagt … also der Irrglaube ist ja von vielen Politikern, dass man über Projektförderungen KünstlerInnen fördert. Und das ist halt nicht so. Eine idealere Kunst- und KünstlerInnenförderung beinhaltet, dass günstige oder kostenfreie Ateliers und Arbeitsplätze geschaffen werden, die leicht zugänglich sind – zum Beispiel ohne Altersbeschränkung usw. Indem man solche Möglichkeiten und Räume für viele Künstlerinnen und Künstler aus den unterschiedlichen Disziplinen fördert, wird auch automatisch ein ökonomischer Freiraum geschaffen. Da nutzt so ein Atelierhaus wie das Salzamt nur bedingt etwas. Das ist wunderschön und toll und funktioniert, nur als Atelierhaus im klassischen Sinn wird das ja für hiesige KünstlerInnen beschränkt. Da gibt es eines, glaube ich, fürs Land und eines für die Stadt.

Wo siehst du sonst noch Handlungsbedarf im Bezug auf Förderung von Kunst und Kultur durch die Stadt? Welche besonderen strukturellen Fördermaßnahmen wären deiner Meinung nach in Linz noch sinnvoll, die nicht nur eine einzelne Einrichtung betreffen?

Dagmar Höss: Gerade bei den Förderprogrammen ärgert mich maßlos – das betrifft jetzt wiederum nicht mich – dass die meisten Förderprogramme und Ausschreibungen bis 40 Jahre gehen. Das finde ich vollkommen idiotisch, wirklich idiotisch. Das hat überhaupt nichts mit den realen Lebens- und Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen zu tun. Ich finde, es gibt auch so eine Kluft oder einen Spalt zwischen der Zeit, wo Künstlerinnen und Künstler an der Universität studieren und fertig werden und der Zeit, wo sie dann real und ernsthaft sich in den Kunst- und Kulturarbeitsbereich eingliedern zu versuchen. Da dazwischen ist ein Zeitraum, der total unabgedeckt und irgendwie total im freien Fall passiert, deshalb auch sehr, sehr viele AbgängerInnen von Kunstuniversitäten einfach ganz etwas anderes letztlich machen, in einem sehr angewandten Bereich oder irgendwie Jobs halt im Kulturmanagement oder was weiß ich machen, weil dieser Sprung in die selbständige künstlerische Arbeit unglaublich hart und irgendwie auch kompliziert und mühsam und undurchsichtig und verstrickt ist. Wie tue ich da mit den Steuern? Wie geht das mit der Versicherung? Wo bekomme ich Geld her? Da ist einerseits von der Universitätsseite sehr wenig da, nach wie vor. Ich habe eine Assistenz an der Universität gemacht, die wissen alle nicht, was sie tun. Sie bekommen das Gefühl vermittelt, sie können da raus gehen und bekommen einen Job.

Eine sozialpolitische Überbrückungshilfe in Richtung einer Start-Up-Förderung?

Dagmar Höss: Ja, sich inhaltlich als auch finanziell irgendetwas zu überlegen für diese Zeit. Die stehen ja alle da wie die …

Linz am Sprung? Wo die Leute den Sprung wagen können?

Dagmar Höss: Und sich versuchen können. Wenn du dir da nicht wirklich schnell irgendetwas einfallen lässt, bist du weg vom Fenster, das kannst du dir einfach nicht leisten. Du kannst nicht ein Jahr lang ohne Einkommen überleben. Wer kann sich das leisten?

Oder du wanderst ab. Inwieweit bist du mit der Vergabe von Kunstwürdigungspreisen und Kunstförderungsstipendien durch die Stadt Linz zufrieden?

Dagmar Höss: Ich muss gestehen, das weiß ich gar nichts so genau, was die Stadt da konkret alles fördert.

Ok, nächster Themenbereich. Gender, Frauen. Welche Rolle spielt deiner Meinung nach das Thema „Gender“ derzeit im kulturpolitischen Diskurs in Linz?

Dagmar Höss: Außer vielleicht das universitäre Umfeld, glaube ich, eine unsichtbare Rolle, kaum wahrnehmbar. Es wird halt bei der Genderfrage oder bei geschlechterspezifischen Ansätzen nur geschaut, ob die Quotenregeln eingehalten sind, aber sonst thematisch, inhaltlich gibt es wenige Ansätze. Vielleicht ist es in dem Fall auch besser, wenn das eher von entsprechenden Fraueninitiativen und -organisationen kommt und sich nicht unbedingt eine institutionelle oder politische gesteuerte Fragestellung daraus ergibt. Wenn es jetzt um queerfeministisch oder solche Fragen vielleicht auch noch geht, Transgender etc., kann ich mir jetzt nicht vorstellen, dass da Linzkultur irgendwie …

In welchen konkreten Bereichen werden Frauen benachteiligt, wenn du den Kunst- und Kulturbereich in Linz betrachtest? Fallen dir dazu einige Beispiele ein?

Dagmar Höss: Ich glaube, dass im Kunst- und Kulturbereich Linz das bundesweite Verhältnis exakt widerspiegelt. Ich glaube, dass es da nicht einen so großen Unterschied gibt, wenn man sich jetzt irgendeinen Wirtschaftskonzern ansieht oder in einen Kunst- und Kulturbetrieb geht. Ich glaube, dass die Tendenz dahingeht, dass bei gleicher Arbeit nicht unbedingt die gleiche Bezahlung vorherrscht, dass Leitungspositionen eher von Männern besetzt werden, dass Schlüsselpositionen eher männlich besetzt sind. Das ist die eine Seite. Was ich glaube, dass oft fehlt, sind frauenspezifische Fragestellungen. Zum Beispiel: Wie gehen Künstlerinnen, die Kinder haben, damit um, wie checken die das? Welche Einrichtungen gibt es, abgesehen von der Kinderkrippe an der Kunstuniversität, wo frau auch nur Zugang hat, wenn sie inskribiert ist? Es gibt kaum Fragestellungen im Kunst- und Kulturbereich, die wirklich frauenspezifisch gestellt sind. Und von Chancengleichheit von Frauen und Männern im Kunst- und Kulturbereich kann keine Rede sein. Der Schwerpunkt liegt ganz wo anders.

Welche besonderen Maßnahmen sollte die Stadt Linz setzen, um eine Gleichberechtigung der Geschlechter im Kunst- und Kulturbereich sicherzustellen?

Dagmar Höss: Wenn man die Absicht hätte, einen Ausgleich zu schaffen und nicht nur über Quotenregelungen oder die Besetzung von Posten nachdenkt, glaube ich, dass es ganz maßgeblich wäre, wenn man inhaltliche Fragestellungen, die darauf Bezug nehmen und Relevanz haben, diskutiert, entsprechende Organisationen, Gruppierungen, Vertreterinnen mit einbezieht in solche Diskussionsprozesse. Da gehören dann Migranntinnenvertreterinnen genauso dazu wie Künstlerinnen, Mütter, was weiß ich, aus den unterschiedlichsten Diskussionsprozessen, auch vielleicht von der Universität draußen, aus den diversen Instituten. Ich bin jetzt keine Spezialistin in dieser Fragestellung, aber ich habe oft das Gefühl, es gibt nur zwei Geschlechter landläufig. Das ist die erste Reduktion und darüber hinaus wird nichts gedacht oder keine Möglichkeit darüber hinaus gesehen. Es gibt aber dann immer nur das: Wer bekommt wie viel? Das ist die Grundfragestellung. Es wird nicht darüber diskutiert, in welchem Verhältnis die einzelnen … ich würde jetzt nicht einmal Tätigkeitsbereiche sagen. Ich habe oft das Gefühl, bei Frauen oder bei Künstlerinnen ist das Überleben wesentlich schwieriger als bei Künstlern, aus unterschiedlichsten Grundbedingungen heraus, weil Nebenjobs, die Frauen machen, schlechter bezahlt sind, weil vielleicht ein Kind kommt, weil keine Betreuungseinrichtungen da sind. Das sind so Folgedinger, woraus noch viel prekärere Lebens- und Arbeitsbilder entstehen als bei Männern, nicht immer, aber oft.

Das heißt, dass im kulturpolitischen Diskurs einiges abgeht, so etwas wie FIFTITU% zu thematisieren, typisch – atypisch – Frau, Geschlechterverhältnisse im Kunst- und Kulturbereich.

Dagmar Höss: Das fängt bei Dingen an, wo du dir eigentlich an den Kopf greifst, weil du dir denkst, das kann ja nicht wahr sein, dass man das überhaupt noch diskutieren muss.

Ok, letzter Themenbereich. Interkulturalität, Migration, Integration. Wie schätzt du die Entwicklung der migrantischen Kulturarbeit in Linz in den letzten zehn Jahren ein?

Dagmar Höss: Ich meine, natürlich werden durch maiz einige dieser Thematiken immer wieder in den Kunst- und Kulturbereich hineingeschossen, sehr erfolgreich auch manchmal, um Diskussionen anzuregen und Veränderungen zu bewirken. Aber letztlich, das ist jetzt eine Unterstellung von mir, aber ich sage es trotzdem, glaube ich, dass seitens der Politik diese Frage der Migration oder Mehrheitsösterreicherinnenanteil im Kunst- und Kulturbereich immer genauso eine Frage ist wie die Quotenregelung bei den Frauen, dass man diesen Migrationsaspekt bisher zumindest, so habe ich den Eindruck gehabt, halt einfach machen muss, weil man den halt irgendwie machen muss. Das ist eher als Political Correctness gemeint, aber nicht wirklich ein Anliegen und vor allen Dingen findet die aktive und intensive Miteinbeziehung von MigrantInnen nur marginal statt.

Mit welchen besonderen Problemen sind MigrantInnen im Kunst- und Kulturbereich in Linz konfrontiert deiner Meinung nach?

Dagmar Höss: Wenn du schlecht Deutsch sprichst, füll einmal ein Förderansuchen aus. Versuch einmal, ein kroatisches Förderansuchen auszufüllen oder versuch ein englisches, selbst da hat man manchmal schon Probleme mit den Fachausdrücken. Wenn du eine EU-Einreichung machst, halleluja. Der Zugang wird in mehrfacher Hinsicht doppelt und dreifach erschwert. Möglicherweise, aber das sind jetzt unbestätigte Sachen, aber in meiner Beobachtung und zumindest im Wiener Bereich merke ich, dass Künstlerinnen und Künstler mit den Aufenthaltsbewilligungen große Probleme haben, diverse Bestätigungsschreiben von allen möglichen Institutionen und Ausstellungshäusern, nämlich Institutionen brauchen, damit die bestätigen, dass sie frei künstlerisch tätig sind und ernstzunehmende Künstlerinnen und Künstler sind. Ich weiß auch nicht, dass ist irgendwie schon absurd, diese Situation. Da geht es nicht mehr um inhaltliche Fragestellungen, da geht es immer um existenzielle Fragestellungen, wo nach 15 Jahren künstlerischer Tätigkeit die Leute keinen Aufenthaltsstatus mehr haben, weil sie einen Monat zu spät hingegangen sind, aber da eine Wohnung haben und einen Galerieraum, selbst die, die schon hervorragend verankert sind, nicht zu reden von denen, die noch keine Anknüpfungspunkte gefunden haben.

Wie würdest du die Verbindungen zwischen den verschiedenen migrantischen Kultureinrichtungen in Linz beschreiben?

Dagmar Höss: Das ist schwer einzuschätzen, ehrlich gesagt, von außen. Ich weiß es nicht, ich glaube, dass es da von bestimmten Seiten eher Interesse gibt, von anderen eher nicht. Das könnte ich jetzt überhaupt nicht sagen, keine Ahnung. Ich weiß, dass maiz zum Beispiel immer wieder mit migrantischen Frauen zusammenarbeitet und Projekte und Workshops macht oder mit Schülerinnen oder mit Jugendlichen. Natürlich suchen die dann über die entsprechenden Vereine und Kulturvereine, meistens sind sie als Kulturvereine verankert, den Kontakt und vernetzen sich mit denen, aber in die andere Richtung, weiß ich jetzt nicht.

Wie sieht es mit den Verbindungen zwischen diesen migrantischen Einrichtungen und den nicht-migrantischen Einrichtungen aus dem Kunst- und Kulturbereich in Linz aus? Wie schätzt du das ein?

Dagmar Höss: Na ja, besser, aber auf jeden Fall ausbaufähig. Meiner Meinung nach sollten Menschen mit Migrationshintergrund bzw. MigrantInnenorganisationen noch viel stärker in diese öffentlichen Kommunikationswege eingeschleust und beteiligt werden. Das genau ist ja auch der berechtigte Kritikpunkt ihrerseits, dass sozusagen meist immer über sie gesprochen oder entschieden wird und sie nicht eingebunden sind, nicht nur nicht partizipieren, sondern eben auch nicht mitbestimmen können.

Welche Maßnahmen sollte die Stadt Linz deiner Meinung nach setzen, um Interkulturalität zu fördern?

Dagmar Höss: Wahrscheinlich in jedem Kunst- und Kulturbereich, in jedem Ankaufsgremium, in jeder Jury, in jedem nur irgendwie im Kunst- und Kulturbereich vorhandenen Feld, Vertreter, Vertreterinnen aus dem migrantischen Feld einsetzen, hinsetzen, mitreden lassen, mitdiskutieren lassen.

Und was sonst noch? Welche Maßnahmen sollten unbedingt gesetzt werden, um Interkulturalität zu fördern?

Dagmar Höss: Ich habe ein bisschen ein Problem mit diesem Begriff Interkulturalität. Ich weiß ungefähr, wie er gemeint ist, glaube ich, aber ich habe bei dem Interkulturellen … da hat es schon viele Begriffskombinationen gegeben, wie den interkulturellen Dialog und wie das alles geheißen hat. Das ist jetzt ein bisschen böse von mir wahrscheinlich, aber man hat halt lange Zeit diesen Ansatz dieses Multikulti-Denkens gehabt, dass man alles bunt macht und ein schönes Multikulti-Fest mit Multikulti-Essen und Multikulti-Musik. Und damit haben wir uns alle verbunden und sind alle integriert und damit hat es sich. Ich bin natürlich keine Fachfrau in dem Bereich, aber ich glaube, es gibt viele spezifische Fragestellungen und Problematiken, die einerseits herausgearbeitet aber auch dann irgendwie letztlich diskutiert und gehandhabt oder entschieden werden müssten. Ob das jetzt Fragen der Existenz und des Überlebens oder inhaltliche Fragen betrifft. Es ist ja nicht so einfach, zu sagen: „Die MigrantInnen.“ Die gibt es nicht. Das sind hunderttausende Fragestellungen, die sich aus verschiedensten migrantischen Hintergründen, verschiedensten Lebensläufen, Arbeits- und Lebensbedingungen heraus ergeben und insofern ist es auch schwierig, das und das zu machen und dann haben wir dieses Thema erledigt. Ich glaube einfach, dass es viel wichtiger wäre, die Leute wirklich in dieses kulturpolitische Gefüge mitzuintegrieren, in diese Diskussionsprozesse, in diese Entwicklung der Fragestellungen. In diesem Bereich ist nicht nur die Partizipationen an Ergebnissen, sondern die Partizipation an der Entwicklung der Fragestellungen eine ganz zentrale, weil da brauchen wir uns nichts vormachen, das können wir uns nicht ausdenken. Das wissen die am besten, da sind sie die SpezialistInnen dafür und das soll man gefälligst auch wahrnehmen.

Danke. Ist dir noch etwas abgegangen? Willst du irgendetwas noch loswerden?

Dagmar Höss: Ja, dass mir ganz viel nicht eingefallen ist, was ich sicher morgen dann …

Danke für das Interview.

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