Christine Dollhofer

Geburtsjahr, Geburtsort?

Christine Dollhofer: 1963 in Wels, aufgewachsen in Vorchdorf und Matura dann in Bad Ischl in der Frauenberufsschule.

Seit wann wohnst du in Linz?

Christine Dollhofer: Seit Herbst 2003 arbeite ich hier und fix in Linz wohne ich seit Februar 2006.

Welche kunst- und kulturbezogenen Aktivitäten und Funktionen übst du derzeit aus?

Christine Dollhofer: Ich leite das Crossing Europe Filmfestival Linz, ich bin Konsulentin für den Filmladen, das ist ein Filmverleih in Wien, der Arthouse-Filme in Österreich herausbringt, für den ich sozusagen Titel auf den internationalen Festivals such und Drehbücher für den Einkauf im Vorfeld lese. Dann bin ich Programmdelegierte für das internationale A-Filmfestival San Sebastian in Spanien und Vorstandsmitglied bei sixpackfilm in Wien, bei DORF TV und dem Medienkulturhaus Wels, sowie seit 2011 Mitglied der Projektkommission des Österreichischen Filminstituts, dazu kommt ein Lehrauftrag an der Filmakademie Wien für das WS 2011/2012.

Wie würdest du die eigene Tätigkeit am ehesten bezeichnen?

Christine Dollhofer: Also ich verstehe mich als Teil der österreichischen Filmbranche, im Vermittlungsbereich, mit einem Wort: Filmvermittlerin und Kulturarbeiterin.

Zu Crossing Europe. Welche Zielgruppen werden durch die Arbeit besonders angesprochen?

Christine Dollhofer: Das sind mehrere Zielgruppen. Das ist einerseits die lokale, regionale und österreichische Filmbranche und die Filmschaffenden als Teil davon, dann auch die europäische Filmbranche und Filmschaffenden. Und von der Publikumsseite her ein regionales, filminteressiertes Publikum, studentisches Publikum, Österreichweit und auch vernetzt mit europäischen Partnerinstitutionen. Das ist immer lokal, regional, national und europäisch und je weiter der Kreis nach außen geht, umso kleiner wird die Gruppe, weil das klarerweise mit Kosten verbunden ist.

Auf welchen geografischen Wirkungsbereich zielt die Arbeit in erster Linie ab?

Christine Dollhofer: Das sind zwei Säulen, Crossing Europe ist ein Branchen- und Publikumsfestival gleichzeitig, also 50:50. Unser Publikumspotential besteht zu 50 Prozent aus Branche, das sind natürlich auch Filmjournalisten und Filmjournalistinnen inkludiert, Schreibende als auch Kreative, Produzierende, Vermittelnde, auch Festivals, die dann wiederum Teile des Programms verwenden. Das ist das Eine. Und vom Publikumssegment, also von den KonsumentInnen/Filminteressierten wenn man das so will, ist es sehr stark lokal und regional ausgerichtet. Immer stärker wird auch das gesamtösterreichische Interesse, es kommen sehr viele Leute aus Wien, Graz, Salzburg. Zentral ist aber, dass wir das lokale Publikum stark einbinden wollen und auch diesbezüglich Angebote schaffen.

In welchen künstlerischen Disziplinen bzw. kulturellen Arbeitsfeldern ist die Einrichtung hauptsächlich tätig?

Christine Dollhofer: Also die Hauptdisziplin ist natürlich die Filmkunst, die sich auch immer zwischen Kunst und Kommerz bewegt. Gleichzeitig ist unser großes Interesse der Cross-Over-Bereich, dieser generiert sich auch aus der Kooperation mit unseren Veranstaltungspartner, dem OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich. Cross-Over meint auch die Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die in beiden Bereichen tätig sind, im Kunst- und Kulturbetrieb als auch im Filmsektor, aber auch Institutionen wie z.B. das Salzamt oder das Lentos, die Landesgalerie oder das architekturforum oberösterreich … wo es auch inhaltliche Anknüpfungspunkte gibt, die dann thematisch wieder ins Festival reinschwappen. Es ist eigentlich sehr oszillierend je nach Themen, nach Schwerpunkten und auch nach Angeboten, die sich in ein Festival einbinden lassen.
Als weitere Säule auch das Diskursive und das Musikalische, auch hier gibt es den Anspruch, das in das Festivalprofil zu integrieren und die Programmierung innovativ und mit jungen Talenten zu gestalten.

Gibt es in Bezug auf die vorhandene räumliche und technische Infrastruktur aktuell einen Handlungsbedarf, d. h. den Wunsch nach quantitativer Erweiterung oder qualitativer Verbesserung?

Christine Dollhofer: Ja, natürlich würde man immer gerne oder ich würde natürlich gerne die Möglichkeit für Wachstum in Anspruch nehmen. Das ist im Augenblick sehr schwierig, weil natürlich die Räumlichkeiten für professionelle Kinoprojektionen begrenzt sind und da nicht mehr sehr viel Spielraum vorhanden ist. Ich denke aber, dass es in Linz genügend Möglichkeiten für alternative Spielstätten gäbe, die man noch adaptieren könnte und dazu gewinnen könnte. Das ist aber immer mit Kosten verbunden und im Moment ist das budgetär einfach nicht drinnen, aber à la longue wäre das ein Ziel, dem Festival ein bestimmtes Wachstum angedeihen zu lassen.

Vom Organisationsbetrieb her, also vom Büro?

Christine Dollhofer: Ja, da sind wir auch am Limit. Unsere Büroräumlichkeiten sind wie bei vielen KulturveranstalterInnen so gestaltet, dass sie in der heißen Phase zu klein sind und im Jahresbetrieb noch etwas Kapazität da wäre. Das Büro ist dann aber nicht zu groß, denn alleine für die Archivierung geht jährlich Platz verloren. Das ist natürlich auch ein Thema, mit dem man sich à la longue beschäftigen muss: Entspricht die Größe der Räumlichkeiten noch den organisatorischen Anforderungen?

Wie schaut es von den personellen Ressourcen her aus? Wie viele Personen sind für das Festival insgesamt beschäftigt? Wie viele bekommen insgesamt Geld? Und wie steht es um ehrenamtliches Engagement?

Christine Dollhofer: Ehrenamtlich ist bei uns sehr reduziert, weil einfach in der heißen Phase, sprich die kurze Zeit vor dem Festival und während des Festivals, sehr gezielte Jobprofile gefragt sind, die müssen dann präzise ausgeführt werden, also man kann z. B, einen Vorführer nicht ehrenamtlich arbeiten lassen und der kommt dann einmal nicht und dann fällt die Vorführung aus. Generell bin ich der Meinung, dass alle für ihre Arbeit auch bezahlt werden sollen. Das große Festivalteam besteht aus bis zu 100 Person und schrumpft dann wieder radikal auf 2 Personen inklusive meiner Person. Ich bin das ganze Jahr angestellt auch durch diese vielen anderen Aktivitäten, die allesamt aufs Crossing Europe Konto fließen, überbeschäftigt. Es ist so, dass fast alle meine externen Jobs unter dem Label Crossing Europe passieren und diese Einkünfte quasi in das Firmenbudget, also in die GmbH fließen und dadurch auch ein Jahresgehalt für mich finanzierbar ist. Und dann gibt es eine Mitarbeiterin, die ist für zehn Monate im Jahr beschäftigt – Ziel ist eine ganzjährige Beschäftigung – und dann gibt es weitere fünf MitarbeiterInnen, die sind dann für drei bis vier Monate beschäftigt, dann haben wir ein paar Freiberufler im Bereich Sponsoring bis Marketing, die je nach Bedarf Dinge abwickeln und dann gibt es die vielen MitarbeiterInnen, die in der Festivalwoche tätig sind, also von SaalregisseurInnen, BilleteurInnen, VorführerInnen, Kassenpersonal, Fotografen, FahrerInnen, im weitesten Sinne auch die Gastronomie – das läuft dann zwar nicht mehr über uns, aber trägt natürlich auch zur Festivalatmosphäre bei. Hinzu kommen auch Kuratorinnen und Kuratoren, ModeratorInnen das ist dann ein Rattenschwanz an Menschen, die da mitarbeiten. Und was vielleicht noch interessant ist, dass 99 Prozent dieser MitarbeiterInnen aus der Stadt kommen, also dass die auch lokal „rekrutiert“ werden, weil es mir wichtig ist das kreative Potential vor Ort zu nützen bzw. gemeinsam Kompetenz zu erarbeiten.

Kurzes Assoziationsspiel: Welche Begriffe fallen dir ein, wenn du an „Kulturstadt Linz“ denkst?

Christine Dollhofer: Linz war Kulturhauptstadt Europas 2009 mit der Unterstreichung von „war“. Generell würde ich noch dazuschreiben, vom Image der Stahlstadt zur Kulturstadt, jetzt als Außenstehende. Ich bin ja keine Linzerin, ich bin erst 2004 gekommen. In der Wahrnehmung hat sich das Bild von Linz aus der Außenperspektive sehr verändert. Also Imagewandel auf jeden Fall. Das ist halt immer eine Frage der Perspektive. Von der Innensicht ist Linz natürlich eine Mittelstadt, die schon ein reiches kulturelles Angebot hat, vergleichbar mit anderen Mittelstädten mit all ihren Vor- und Nachteilen. Ich denke, für manche Dinge ist die Stadt zu klein, für andere wieder zu groß…. und von der Außenwahrnehmung glaube ich, wird Linz schon als eine aufstrebende, ambitionierte Zeitkunst-Stadt wahrgenommen, die sich halt eher der zeitgenössischen Kunst als einer Hochkultur widmet bzw. die sich von Wien und Salzburg dadurch abheben möchte, indem sie sich eher dem Zeitgenössischen, Experimentellen widmet.

Wenn du die letzten Jahre betrachtest, also vor allem seit 2004, seitdem du da bist: Was ist besonders gut in der Entwicklung dieser Stadt gelaufen?

Christine Dollhofer: Ich glaube besonders gut, und das meine ich auch generell aus meiner Erfahrung von anderen Städten, ist die Vernetzung innerhalb der Kultureinrichtungen gelaufen. Die Institutionen sind relativ offen, die Hierarchien sind relativ flach, also im Sinne von „Man kann mit allen verhandeln, es ist nichts unmöglich.“ Das finde ich sehr angenehm, dass da eine bestimmte Offenheit herrscht. Außerdem dass die Szene sehr überschaubar ist, dass man sehr schnell einen Gesamtüberblick hat und dass sie sich mischt, dass sie nicht sozusagen gettoisiert ist in einzelne Kunstsparten, sondern dass sie zum Teil sehr übergreifend aktiv ist. Also das ist mir sehr positiv in Linz aufgefallen. Dass es sehr unkompliziert ist Partnerschaften einzugehen und mit Institutionen zusammenzuarbeiten. Ich gehe jetzt nicht auf das Kulturpolitische oder Verwaltungstechnische ein…. und weiters dass einfach generell eine Bereitschaft und Offenheit da ist, etwas Neues auch zuzulassen, sage ich jetzt auch aus eigener Erfahrung. Es gab nie Untergriffe oder Eifersüchteleien: Was brauchen wir da jetzt noch ein Filmfestival? Wir müssen schauen, dass wir selber mit dem, was wir haben zurechtkommen? Sondern von allen Seiten war ein herzliches Willkommen da, das fand ich sehr ermutigend. Und auch eine große Bereitschaft, sich einzubringen, Ratschläge zu geben, Informationen auszutauschen. Das ist im Vergleich zu Erfahrungen, die ich in anderen Städten gemacht habe, sehr positiv.

Die andere Seite betrachtet. Gibt es kulturelle Entwicklungen der letzten sechs bis sieben Jahre, mit denen du überhaupt nicht zufrieden bist?

Christine Dollhofer: Eine bestimmte Form von … Stillstand möchte ich nicht sagen, mehr so in Richtung Wagemut der mir fehlt, also Wagemut im Sinn von: „Okay, jetzt probieren wir das einfach mal aus und riskieren mal was und schauen wir mal was sich da entwickelt.“ Auch wieder aus eigener Erfahrung, man kann was machen, aber jetzt nur nicht übermütig werden und gleich groß auf den Tisch hauen, sondern jetzt fangt mal klein an und dann schauen wir mal, wie sich das entwickelt und dann vielleicht nach zehn Jahren oder ich weiß nicht wie lange in der Beobachtungsphase, ist dann etwas mehr möglich. Das kommt jetzt nicht aus der Kulturszene, sondern das kommt eher aus der Politik, sage ich jetzt einmal. Von der Entwicklung, klar man muss sagen das waren sehr aufregende Jahre, eine Kulturhauptstadt wurde vorbereitet von Herbst 2003 bis 2009, diese sechs Jahre der Vorbereitung und Etablierung dieses Ausnahmejahres und jetzt quasi das zweite Jahr danach, mit auch hier allen Höhen und Tiefen, wo man dann merkt, in dieser Form kann es nicht weitergehen, da schrumpfen dann die Finanzierungen wieder. Man hat zwar super Infrastruktur etabliert, das kommt bei vielen Institutionen so vor, es gibt zwar Strukturen aber kein operatives Budget oder zu wenig operatives Budget. Man kann diesen Level nicht mehr halten und ich glaube, das hat etwas mit Wagemut zu tun, zu sagen, bestimmte Dinge sein zu lassen, bestimmte Dinge weiterzuführen. Es ist klar, dass nicht alles gleich weiterlaufen kann, also auch Entscheidungen zu treffen. Es sind zwar Entscheidungen getroffen worden, ob das dann die richtigen waren, das wird dann von der jeweiligen Perspektive jeweils anders interpretiert. Aber von der Entwicklung her habe ich das Gefühl, es ist eher eine Katerstimmung eingetreten und man merkt, die Stadt hat Schulden, die Kulturbudgets sind gedeckelt. Wir sind zwar nicht gekürzt, aber es bleibt halt immer gleich. Es ist irgendwie keine Aufbruchstimmung da. Man hat sechs Jahre Aufbruchstimmung simuliert und jetzt ist die halt sofort wieder gekappt worden.

Wenn wir den Blick über den Tellerrand hinausrichten, womit kann Linz deiner Meinung nach im österreichischen Städtewettbewerb punkten, vor allem im Vergleich zu ähnlich großen Städten wie Graz, Salzburg oder Innsbruck?

Christine Dollhofer: Ich finde, Linz hat ein paar sehr spannende Formate, die halt einzigartig sind in der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft. Das ist sicher das AEC und das Ars Electronica Festival. Das ist ein Format, das gibt es in Österreich nicht. Ich glaube, es gibt mittlerweile schon mehrere Festivals, die ähnlichen ausgerichtet sind, aber das war doch ein Pionierfestival weltweit und da hat man einfach eine Marke geschaffen, die halt funktioniert. Nur darf man sich auf der Marke nicht ausruhen. Das kann es nicht gewesen sein, dass es nur die Ars Electronica ist, die die Stadt kulturell definiert. Gäste schätzen die Bandbreite an Angeboten, ich kenne das von Bekannten, die aus Wien sind, die gehen dann ins Lentos, in die Landesgalerie und andere Ausstellungen, die gerade angeboten werden. Es ist schon für Kunstinteressierte ein Angebot da und ich finde, was in Linz auch sehr fein ist, dass es eine sehr lebendige Freie Szene gibt, also mit interessanten Formaten. Ich sage jetzt nur Time’s Up im Hafen, das ist so der Freistaat Kreativität, das ist so das Little Christiania von Linz, das finde ich irgendwie sehr fein und Linz lebt ja auch von Mythen. Linz als „independent“, Underground-Musikszene in den 1970er-Jahren, wo halt sehr viel Neues entstanden ist, wo tolle Bands entstanden sind, die Stadtwerkstatt-Bewegung, die natürlich über Linz hinausgewirkt hat und Inspiration war für andere. Radio Fro, dorf tv als usergeneriertes Fernsehen, es kommen dann wirklich so Initiativen von der Basis, die sehr engagiert sind. Natürlich über Jahre hinweg, irgendwann läuft sich etwas tot oder dann fehlt das Geld, um das wirklich größer zu machen oder professioneller zu machen. Aber vor allem dieser Pioniergeist, der ist schon da. Und der ist sicher auch dadurch gegeben, dass es eine Kunstuniversität gibt. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, als Impulsgeber oder als Referenz, wo einfach interessante Leute nach Linz zum Unterrichten kommen. Oder immer wieder aus der StudentInnenszene neue Gruppen entstehen, wie der Off Space bb15. Es sind immer interessante Initiativen, die dann mit neuen Projekten aus dem Boden schießen, das gefällt mir sehr gut.

Inwieweit denkst du, dass Linz international als Kulturstadt wahrgenommen wird? Und welche geografische Reichweite hat die internationale Wahrnehmung deiner Meinung nach?

Christine Dollhofer: Das kann ich jetzt schwer beurteilen. Ich glaube, das ist sehr subjektiv. Ich kenne viele Leute, denen Linz etwas sagt durch die Ars Electronica oder Linz war Kulturhauptstadt. Ich bezweifle jetzt, dass jemand, der mit dem nichts am Hut hat, mit Linz etwas assoziiert, aber ich bin immer wieder überrascht, dass die „Wiener“ Linz nicht kannten oder kennen und dann so begeistert sind. Es ist schon so eine bestimmte Überheblichkeit: „Das ist jetzt wirklich tiefste Provinz.“ Und da muss ich dann schon immer auf die Barrikaden steigen und sagen, so ist es jetzt auch wieder nicht. Wie gesagt, die internationale Wahrnehmung, das ist wahnsinnig schwierig, da gibt es keinen Maßstab, an dem ich das messen könnte.

Deine erste Assoziation zu Linz war Kulturhauptstadt. Ein kurzes Resümee von Linz09 anhand von drei Punkten?

Christine Dollhofer: Interessant, was eine Stadt so auf die Beine stellen kann, auch mit Ressourcen vor Ort, also mit dem Kreativpool vor Ort. Es ist sehr viel möglich, das haben wir gesehen. Auch jetzt von der Publikumsakzeptanz und von der Partizipation, das hat mich sehr begeistert. Gleichzeitig, wie schwierig es ist, dieses Level aufrecht zu erhalten und wenn diese Obermarke dann nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, weil das Geld dann fehlt … Und das dritte ist natürlich und das ist per se mit allen Kulturhauptstädten, glaube ich, dieser Katzenjammer danach: Wie tun wir weiter? Diese Konzepte, wie geht es nach so einem Höhepunkt im kulturellen Leben einer Stadt weiter? Dass dann halt so ein bisschen eine Frustration und Planlosigkeit herrscht. Oder dass finanziell keine Vorsorge getroffen wurde, um das zu gewährleisten.

Wie schätzt du das Verhältnis von Hochkultur – Subkultur – Volkskultur in Linz ein?

Christine Dollhofer: Ich glaube, da kann man ganz schön daneben tippen, wenn man keine Zahlen hat. Jetzt rein gefühlt, Hochkultur sagen wir mal 50 Prozent, also wenn man jetzt wirklich Klassik, Theater, Brucknerhaus, Konzerte, Literatur dazuzählt. Subkultur sage ich jetzt einmal vielleicht 10 Prozent und Volkskultur, also wenn man da jetzt Kronefest und auch LinzFest dazuzählt, Urfahranermarkt ist auch Volkskultur, dann sagen wir mal 50 Prozent. Die Frage ist immer, wo hört Subkultur auf, wo fängt Hochkultur an. Also Lentos ist schon Hochkultur? Wie gesagt, das ist jetzt eine gefühlte Schätzung, weil natürlich habe ich das Gefühl, es ist wahnsinnig viel Subkultur, aber ich glaube, in Relation ist es sehr wenig.

Wenn man einzelne künstlerische Disziplinen wie Malerei und Grafik, Tanz, Theater, Musik, Literatur, Film, Fotografie usw. betrachtet: Wo würdest du meinen, wäre in der Stadt noch Entwicklungspotenzial vorhanden?

Christine Dollhofer: Das ist schwierig zu beantworten… also ich weiß, beim Tanz gibt es großen Bedarf. Aber natürlich beim Film: Film ist zumeist nur kommerziell vertreten, also in Form von Arthouse Mainstream im regulärem Kinobetrieb – Film ist mit ein paar Ausnahmen wirklich unterrepräsentiert in Relation zu Musik. Bei der Musik, jetzt klassische Musik und Konzertveranstaltungen aller Art, ist Linz, glaube ich, sehr gut vertreten. Wie es mit den Nachwuchsbands aussieht kann ich nicht genau sagen, aber Probenräume sind sicher immer gesucht… Theater, da gibt es vielleicht neben dem Off-Theater Phönix natürlich und auch ein paar freie Theatergruppen, aber die Freie Theaterszene ist relativ klein. Literatur, da könnte ich jetzt von Slam-Poetry bis Schreibklassen, es gibt natürlich überall Initiativen, aber ich kann das jetzt nicht genau sagen. Ich habe so das Gefühl, es ist alles vertreten in irgendeiner Form und Entwicklungspotential wäre gerade im Off Bereich in allen Disziplinen vorhanden, ob das jetzt Design oder Fotografie oder Tanz/Theater oder Medienkunst ist, was auch immer. Es gibt sehr viele Initiativen oder Leute, die sich mit dem beschäftigen, aber da wäre in allen Segmenten noch etwas rauszuholen.

Weg von den Disziplinen und hin zu thematischen Schwerpunkten. Welche drei thematischen Schwerpunkte mit Kunst- und Kulturbezug werden zukünftig die größten Herausforderungen für die Stadt darstellen?

Christine Dollhofer: Dadurch, dass man sich ja als Zeitkunst-Stadt definiert und auch als zukunftsweisendes Territorium, also wie das AEC immer schon Tendenzen oder Entwicklungen, die uns zukünftig beschäftigen werden, also als Vorreiter präsentieren will, glaube ich, dass es das Allerschwierigste ist, eben die neuen Strömungen im Kunst- und Kulturbereich rechtzeitig in die Stadt zu bringen, anstatt die alten Meister quasi, die man sich eh nicht leisten kann. Ich glaube, die Diskrepanz ist immer, das was bestimmte Häuser leisten, sehr federführend ist, aber in der Öffentlichkeit nicht als federführend erkannt wird, weil sie nicht die Quote bringen und das müsste man stärker untermauern: „Wir sind diejenigen, die nicht die Stars, die gerade im Blitzlichtgewitter stehen und eh schon bekannst sind bringen, sondern wir bringen euch die Trendsetter von morgen im Kunst- und Kulturbereich“. Ob das jetzt im Filmbereich ist oder im Kunst- und Kulturbereich oder sonst irgendwo, das ist ja das spannende. Natürlich kann es sein, dass die Entwicklung in eine andere Richtung geht, aber dass man versucht hat, diese neuen Strömungen in die Stadt zu bringen. Das wäre ein Thema. Dann natürlich, was ja auch immer ein Thema war, Kultur und Industrie. Also für das, was die Stadt ja auch steht, Kunst und Industrie oder Arbeiterstadt, eine moderne Industriestadt. Ich glaube, da wäre auch sehr viel Potenzial – die ganze Ökologiebewegung, die Globalisierung, die Umweltzerstörung. Ich glaube, da sind auch sehr viele Themen dabei, wo es sicher Anknüpfungspunkte gäbe, aber da kenne ich mich nicht so aus. Das ist jetzt eher ein Label, wie sich die Stadt präsentiert. Wir machen jetzt nicht den Kommerz oder nicht die Hochkultur, sondern wir sind jetzt mehr für zeitgenössische Kunst und Kultur mit zukunftsweisenden Themen zuständig. Ich finde, das müsste man viel stärker betonen.

Zu den einzelnen Themenbereichen. Interkulturalität, Migration, Integration. Wie schätzt du die Entwicklung der migrantischen Kulturarbeit in Linz in den letzten zehn Jahren ein?

Christine Dollhofer: Ich muss sagen, von der Wahrnehmung her, war das bei Linz09 schon durch bestimmte Projekte, die stattgefunden haben, sehr präsent. Bei mir persönlich und auch im Vorfeld haben sich für mich sehr viele Initiativen, die sich dieses Themas annehmen, in der Wahrnehmung aufgedrängt. Dass es da einige Projekte gibt, die sich damit sehr intensiv beschäftigen. Ich muss sagen, es ist mir mehr aufgefallen als in anderen Städten, dass das schon in der Stadt irgendwie ein Thema ist und auch in der Stadtpolitik zumindest medial ein Thema ist, und auch in der Sozialpolitik der Stadt eine wichtige Rolle spielt. Das fällt mir positiv auf. Aber ich glaube, da kann man noch mehr machen, speziell was den Kunst- und Kulturbetrieb betrifft, also da auch bestimmte Barrieren abzubauen oder bestimmte Angebote zu schaffen.

Mit welchen besonderen Problemen sind MigrantInnen im Kunst- und Kulturbereich in Linz konfrontiert? Ist dir etwas speziell aufgefallen?

Christine Dollhofer: Ich glaube, das Problem ist auch die Vernetzung, dass es sehr viele gibt und wie man die adressieren kann. Ich merke das selber, wenn wir das Gefühl haben, wir hätten sehr viele Angebote, die vielleicht für bestimmte Initiativen/Communities interessant sind: Wie erreiche ich die Zielgruppe? Das ist einerseits über Radio FRO über die eigenen Sendungen, die produziert werden von migrantischen Gruppen. Und für MigrantInnen selbst umgekehrt ist natürlich, glaube ich, die größte Barriere ein Zugriff auf die Ressourcen also sprich finanzieller, struktureller Natur. Und wiederum jetzt nicht gettoisiert zu sein in ihrer Arbeit. Ich glaube, das ist immer das Schwierige. Was könnten noch die Probleme sein? Also die Ressourcen sind sicher ein großes Problem, weil wir da viel geübter sind und schon diese Netzwerke haben.

Wie schätzt du die Verbindungen zwischen den verschiedenen migrantischen Kultureinrichtungen in Linz ein? Und wie die Verbindungen zwischen diesen migrantischen und den nicht-migrantischen Einrichtungen aus dem Kunst- und Kulturbereich in Linz?

Christine Dollhofer: Meine Erfahrung ist einerseits, dass man dann mehr mit Institutionen und Gruppen zu tun hat, die eher Heimatpflege betreiben. Das ist jetzt egal, ob das die Polen oder Litauer sind, die dann bewahrend ihre Dinge für sich betreiben, die sich aber dann auch in den allgemeinen Kulturbetrieb einbringen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe da auch nicht so viel Erfahrung und Anknüpfungspunkte. Wir stoßen darauf, wenn wir bestimmte Filme kommunizieren wollen. Was könnte eine bestimmte Gruppe daran interessieren? Gleichzeitig denke ich mir dann wieder, das soll ja nicht nur für diese Gruppe von Interesse sein. Aber ich glaube, das wichtigste Ziel ist eigentlich, dass MigrantInnen in Kulturbetrieben ganz selbstverständlich mit dabei sind, ohne Quote und ohne gettoisiert zu sein. Und auf der anderen Seite das Emanzipative, sozusagen die eigenen Interessen vorantreiben und öffentlich machen, wie jetzt Vereine wie Pangea oder maiz. Beides ist wichtig.

Welche Maßnahmen sollte die Stadt Linz setzen, um Interkulturalität zu fördern?

Christine Dollhofer: Ich finde generell, spezifische Angebote von einzelnen Gruppen gleichwertig im Kulturbetrieb aufnehmen. KünstlerInnen aus dem Ausland einladen, z. B. ins Salzamt Linz und da einen Austausch ermöglichen, also Artist-In-Residence-Programme, finde ich ziemlich super. Also auch vice versa, Import und Export. Ich glaube, das macht die Stadt sehr durchlässig, das gefällt mir sehr gut als Konzept. Ich tue mir jetzt schwer, das hängt immer von den Bedürfnissen der MigrantInnen selber ab. Ich denke mir, das soll aus den Initiativen, aus den Gruppen selber wachsen. Ich finde es vermessen, wenn ich z. B. die Bedürfnisse und Wünsche von MigrantInnen formuliere. Die Sprache ist natürlich auch ein Thema, das eine bestimmte Form von muttersprachlichen Aktivitäten gewährleistet ist.

Auch in der Vermittlung?

Christine Dollhofer: Da habe ich jetzt keine Erfahrungswerte, wie stark das Bedürfnis da ist. Aber wenn es da ist … Natürlich passiert in Österreich Vermittlung immer auf Deutsch, also beim Festival versuchen wir halt, alles im Original zu zeigen, mit englischen Untertiteln. Aber ich glaube, da ist schon auch manchmal das Bedürfnis da, etwas Muttersprachliches zu sehen und das kann man ja heutzutage mit technischen Mitteln auch sehr gut für zwei Zielgruppen ausrichten.

Der zweite Themenbereich ist Leerstände und Zwischennutzungen. Inwieweit denkst du, dass Leerstände interessant für Kunst- und Kulturschaffende in Linz sind?

Christine Dollhofer: Ich höre und merke immer wieder, dass es Leute gibt, die Räume suchen, die „Freiräume“ suchen, wo sie einfach ihre Initiative starten können. Ein Atelier, einen Raum, wo sie etwas „basteln“, also etwas künstlerisch oder handwerklich umsetzen können. Das ist immer wieder ein Thema. Ich denke mir, Zwischennutzung ist ein super Konzept, um Leerstände zu beleben und einzelne Bezirke oder Straßenzüge zu beleben. Und es gab immer wieder Beispiele, wo das sehr gut funktioniert hat, ob das jetzt so etwas wie Pixelhotel ist oder wie bb15 oder es gab von der Kunstuniversität immer wieder Studierende, die irgendwelche Leerstände bespielt haben mit Performances, Ausstellungen. Das ist jetzt mehr veranstaltungstechnisch, aber ich glaube, es gibt auch das Bedürfnis, unkompliziert und unbürokratisch Räume zu nutzen, ob das jetzt Proberäume sind oder für junge Bands oder Tanzproberäume oder für Kunstschaffende Ateliers oder Werkstätten. Und natürlich bieten sich da in diesem Zusammenhang das große Thema Tabakwerke an, diese sind eine Riesenherausforderung, finde ich, das jetzt mit viel Impetus von Fachleuten gelöst werden muss.

Zur Tabakfabrik kommen wir gleich noch. Du hast gesagt, aus eigener Erfahrung gibt es Kunst- und Kulturschaffende, die auf der Suche nach Freiraum oder nach Atelierflächen sind. Kannst du das noch näher beschreiben? Vielleicht kannst du ein Beispiel geben? Mich würde vor allem diese Suchbewegung interessieren.

Christine Dollhofer: Ein Beispiel ist Hans Kropshofer, der temporär Räume als Lokale etabliert wie die Gru-Bar oder den Stadtkeller und jetzt hinter dem Landestheater ein neues Lokal gemeinsam mit Luis Wohlmuther aufmachen wird. Eben habe ich ganz vergessen, es können auch alternative Lokale sein, so wie es natürlich ein genialer Schachzug war, den Rothen Krebs zu entern. Das war wirklich wichtig, dass es neue Angebote auch in der Fortgehkultur gibt, aber ich meine, der Rote Krebs macht ja mehr. Die machen Veranstaltungen in dem Raum oben, das ist wirklich eine super Sache. Da merkt man, wenn es die Möglichkeit gibt, finden sich immer Leute, die motiviert sind, etwas auszuprobieren, etwas auf die Beine zu stellen. Ich glaube, da geht es einfach darum, Bürokratien abzubauen, flache Hierarchien im Sinn von Genehmigungen zu schaffen und kurzfristige Nutzungen zu ermöglichen, so wie die Ars Electronica die Marienstraße bespielt hat. Einfach kurzfristig Räume besetzen können und auch etwas machen. Ich finde, da gibt es genug, von den Etablierten wie der Ars Electronica bis hin zu Eigeninitiativen, die das in Anspruch nehmen würden.

Was kann die Stadt da machen in diesem Zusammenhang? Die Diskussion über Leerstände verläuft relativ oft so, dass die Stadt keine Handlungsmöglichkeiten hat, um die Zwischennutzung oder die längerfristige Nutzung zu ermöglichen, da diese im Besitz von Privaten sind oder es sich um Bundesimmobilien handelt.

Christine Dollhofer: Das ist natürlich ein Problem. Aber man kann sich auch vorstellen, dass die Stadt in einer gewissen Form eine Haftung übernimmt, im Sinne einer bestimmten Laufzeit. In dieser Zeit hat eine Einzelperson oft als juristische Person nicht einmal die Möglichkeit, das zu mieten oder in Anspruch zu nehmen und die Stadt als Autorität hat da sicher leichter Zugriff, wenn sie mit den Eigentümern verhandelt und sagt, für die nächsten sechs Monate hätten wir das gerne, wir übernehmen da auch eine bestimmte Form der Haftung, aber überlassen das dann halt der Inititativgruppe. Das ist natürlich auch wieder bürokratisch, aber das wäre eine Form. Auf der anderen Seite ist es schon einmal wichtig, dass die Stadt nichts dagegen hat und sich nicht kontraproduktiv verhält, sondern das mit einem Empfehlungsschreiben oder mit einer Botschaft unterstützt, dass das im Sinne der Stadtentwicklung gewünscht ist, dass Leerräume auch genutzt werden. Ich glaube, das kann schon sehr hilfreich sein, wenn man mit EigentümerInnen verhandelt.

Es gibt auch Immobilien, die im Eigentum der Stadt stehen. Die Tabakfabrik als großes Thema: Was würdest du dir hinsichtlich des derzeit größten städtischen Leerstandes wünschen?

Christine Dollhofer: Mein Wunsch hat sich nach der Begehung dieses riesigen Areals ein bisschen in Ohnmacht entwickelt. Vorher war das so, Tabakfabrik, da war die Kunstuniversität drinnen. Wenn man aber das gesamte Areal begeht, ist das wirklich eine Form von Ohnmacht, für dieses riesige Areal ein Konzept zu entwickeln – wie schwierig das werden wird. Gleichzeitig ist es eine einmalige Chance, städtearchitektonisch ein Signal zu setzen, wie wir eingangs bereits erwähnt haben. Für was steht Linz? Und das könnte schon ein Alleinstehungsmerkmal produzieren. Weil Kunsthäuser und Theater, das haben alle mittelgroßen Städte, aber so ein Areal mit so einem architektonischen Background, das ist wirklich ein Juwel. Ich habe da jetzt kein Rezept, weil ich glaube, da muss man ganz schön die Köpfe rauchen lassen, damit man die optimale Lösung findet. Aber es wird sicher nicht ohne Partizipation von Fachleuten und der Bevölkerung gehen. Es ist sicher eine große Sache, auch finanziell, dass man das hebt.

Inwieweit soll deiner Meinung nach Kunst- und Kultur eine Rolle bei der zukünftigen Nutzung der Linzer Tabakfabrik spielen?

Christine Dollhofer: Eine große, also ich finde eine gemischte Nutzung wird wahrscheinlich das einzig finanziell mögliche sein, dass man sagt ,man hat da bestimmte Nutzungsansätze für so ein Areal, weil man wird nicht das gesamte Areal nur für Kunst und Kultur im klassischen Sinn adaptieren können. Weil das würde eine hundertprozentige Subventionierung bedeuten. Aber wenn man das ein bisschen mischt, könnte das vom Betrieb her auch funktionieren. Dass das ein interessanter Ort ist, haben jetzt mehrere Modelle gezeigt, die da partiell oder temporär Veranstaltungen gemacht haben. Dass da natürlich ganz viel Geld reingepumpt werden muss, ist auch klar, weil bestimmte Räume nur für bestimmte Sachen genutzt werden können oder für manche Veranstaltungs- oder Nutzungsmodelle ungeeignet sind. Wie gesagt, da müssen die ExpertInnen Vorschläge bringen. Wir wissen eh, es gibt diverse ExpertInnengruppen, die daran schon arbeiten. Aber ich glaube, es wäre wirklich eine singuläre Gelegenheit, diesen Raum auch zu nützen, um Linz nochmals auf eine andere Ebene zu bringen, dieses Alleinstellungsmerkmal noch zu unterstreichen.

Neue Infrastruktur/neue Formate. Wie beurteilst du die vorhandene kulturelle Infrastruktur in Linz? Inwieweit siehst du noch quantitativen oder qualitativen Ausbaubedarf?

Christine Dollhofer: Ich finde, die Infrastruktur ist sehr groß und die hat man auch kontinuierlich ausgebaut. AEC, Lentos gibt es ja auch noch nicht so lange und es gibt den Posthof und das Brucknerhaus und bald das Musiktheater, es gibt 1.000 Veranstaltungssäle von der Oberbank bis zur Arbeiterkammer, Musikverein, Kaufmännischer Verein, Ursulinenhof. Also Infrastruktur haben wir genug und das Problem ist natürlich, da die Infrastruktur wahnsinnig teuer ist, diese auch zu erhalten und qualitativ zu bespielen. Ich glaube, das ist eher das Problem, das operative Budget. Da glaube ich, wäre es wirklich … da muss man sich wirklich in Zukunft eine flexiblere Nutzung überlegen. Ich sage jetzt, auch wieder von Crossing Europe ausgehend, wenn wir Orte suchen, wo man uns noch irgendwie … wenn wir zu klein werden, weil die Kinos zu klein sind oder es gibt keine Kinos, muss man einfach andere Orte adaptieren oder einbinden, dass das unbürokratisch leicht wird oder auch finanziell leistbar wird für externe Institutionen und Initiativen, die Infrastruktur zu nutzen. Wie wir es jetzt haben im OK, das funktioniert sehr gut, weil das OK darauf ausgerichtet ist, externe Initiativen einzubinden und die Räume zu bespielen und ich glaube, da wird man noch intensiver darauf zurückgreifen müssen. Weil die Kritik auch immer ein bisschen unfair ist, egal ob man das Lentos oder wen auch immer angreift, und sich die superteuren Ausstellungen mit Massenpublikumszahlen irgendwie wünscht, gleichzeitig aber für solche Formate gar nicht die Finanzierung da ist. Also das ist ein Widerspruch in sich. Natürlich kann man mit dem nötigen Geld so ein Haus kommerziell programmieren, dann hat das aber ein völlig anderes Profil und eine völlig andere Ausrichtung. Man muss sich nur entscheiden: Will man ein kommerzielles Kunsthaus mit Kunststars wie etwa in der Albertina und Ausstellungen, die durch die Welt touren? Oder will man ein Zeitkunstmuseum haben, das sich halt anderen Fragestellungen und anderen Ausstellungsformaten widmet, die halt jetzt nicht der totale Knaller sind für die Schiffsgäste, die da schnell mal vorbeifahren und dann schnell in eine Ausstellung gehen?

Wie steht es um Formate wie Festivals und Biennalen in Linz: zu viele, genau richtig, zu wenige?

Christine Dollhofer: Als Innenstadtbewohnerin finde ich, dass diese öffentlich populären Formate … da ist auf jeden Fall genug da, also bitte nicht mehr. Ich glaube, an kommerziellen Formaten im öffentlichen Raum – jetzt diese klassischen Veranstaltungen wie Pflasterspektakel, Brass-Festival, LinzFest – das ja nicht so kommerziell ist – oder Kronefest oder Ritterfest oder italienische Woche, das ist ja immer so ein Graubereich, Messen, die da auf der Straße stattfinden, wo irgendwelche Lobbys ihre Sachen verkaufen wollen … ich finde, da ist echt schon manchmal zu viel, ich finde, das ist wirklich am Limit, also da bitte nicht mehr. An Formaten, die eine bestimmte Form von Diskurs und Qualität in sich tragen, würde Linz sicher noch mehr vertragen. Das ist ein bisschen traurig, weil die Kulturbudgets wachsen auf keinen Fall und die etablierten Formate wollen auf jeden Fall weiter existieren, das ist klar und sie haben naturgemäß immer einen höheren Finanzbedarf mit den Jahren und das bedeutet aber, es kann nichts Neues mehr nachkommen. Das beunruhigt mich ein bisschen, dass sozusagen irgendwie wenig Luft da ist für neue Ideen. Wo haben die Leute Platz, die jetzt so etwas wie die Ars Electronica erfinden? Solche Formate können immer wieder erfunden werden und wo können die jetzt einhaken, weil sie sicher nicht mehr diese optimalen finanziellen Voraussetzungen finden werden wie vor 25 Jahren die Ars Electronica gefunden hat. Da war einfach eine Aufbruchsstimmung da, auch kulturpolitisch in den 1980er- und 1990er-Jahren, da haben sich sehr viele jetzt institutionalisierte Interessensvertretungsorganisationen gegründet und da sind sehr viele neue Formate entstanden. Auch im Sinne der Jugendkulturarbeit: Wo können sich die Jungtalente jetzt entwickeln? Das finde ich schon wichtig. Auch aus der eigenen Geschichte heraus. Wenn man jung ist, ist man wahnsinnig motiviert, man möchte irgendetwas machen. Wenn dann kein Platz mehr ist, weil schon alles zubetoniert ist, schon alles „eingekastelt“ ist, dann finde ich das immer ein bisschen schade. Da muss einfach eine Spielmasse da sein für Neues.

Sind dir kunst- und kulturbezogene Formate aus anderen Städten bekannt, deren Umsetzung auch für Linz interessant sein könnte? Ohne jetzt Copy-and-Paste zu machen.

Christine Dollhofer: Das Problem ist, man kann ja nichts mehr neu erfinden. Ein Format, das mir ganz gut gefallen hat, das partiell in Linz eh schon durchexerziert wird und das man noch mehr ausbauen könnte, das ist wie in Rotterdam zum Beispiel das Filmfestival, das noch extremer dieses Cross-Over betreibt und wo wirklich alle Kunsthäuser sehr stark involviert sind. Wo man wirklich ein Kunst- und Kulturfestival macht, das sehr viele Kunstsparten berührt. Rotterdam ist natürlich viel größer als Linz und hat da eine längere Geschichte, aber so etwas würde mir ganz gut gefallen. Wo ich mich auch sehen würde, wo wir uns auch weiterentwickeln könnten. Formate … da muss ich nachdenken, da gibt es sicher Möglichkeiten. Ich treibe mich halt mehr auf Filmfestivals herum, in unterschiedlichsten Formen. Ich glaube, im Musikbereich ist jetzt … wie in Wien am Karlsplatz dieses Musikfestival mit den Bands … natürlich ist das LinzFest so etwas, aber das hat natürlich ein anderes Label, das gibt es schon. Das Problem ist ja immer dieses Alleinstellungsmerkmal. Du hast den steirischen herbst, du hast ein Donaufestival in Krems, du hast sehr viele Formate, die so ähnlich sind. Man kann sich ja einmal überlegen, dass man auf etwas anderes verzichtet dafür. Die Fabrikanten machen jetzt dieses große EU-Performance-Projekt, das dann im November startet – also es passiert immer etwas neues. Oder so etwas, was die Time’s Up da unten am Hafen im Kleinen und im Abgeschiedenen machen, das ist schon ein Format, das könnte man auch in die Innenstadt transformieren.

Wir sind am Ende des Interviews angelangt. Willst du noch etwas Wichtiges mitteilen?

Christine Dollhofer: Was mir auffällt, dass sehr viele tolle Leute, die hier sehr viel bewegt haben, studiert haben, sehr viel auf die Beine stellen und dann weggehen, weil sie dann irgendwie am Limit sind und da keine Entwicklungsmöglichkeit mehr sehen. Es ist klar, dass man natürlich auch einmal andere Städte und andere Erfahrungen sammeln will, aber trotzdem finde ich, dass für viele zu wenig Entwicklungsspielraum vor Ort ist, der attraktiv genug ist, um zu bleiben. Und ich glaube das muss ein wichtiges Ziel sein. Ich habe jetzt schon eine Generation der Kunstuniversität mitgemacht und ich habe bemerkt, da bröckeln ganz viele Leute ab. Da ist die Tabaktrafik sicher ein Laboratorium oder eine Chance, wo man auch Angebote zum Bleiben des Kreativpotentials schaffen kann. Und auch eine Community, die sich dann herausbilden kann. Es geht ja darum, dass man nicht alleine arbeiten will und in seinem eigenen Geviert quasi, sondern man will sich ja austauschen, man braucht Leute für kollektive Projekte und da ist es wichtig, dass genug Menschen da sind, die inspirierend und interessant sind.

Auf was sollte bei der Erstellung des neuen Kulturentwicklungsplans besonders geachtet werden?

Christine Dollhofer: Ich überlege, was kann ich noch mitgeben? Langmut. Ich bin ja immer so skeptisch, was Kulturentwicklungspläne betrifft. Ich glaube, das Wichtigste ist, Sachen zuzulassen, die vielleicht auch scheitern, das ist immer wieder möglich. Aber jetzt in der konkreten Kulturarbeit, einfach Experimente zulassen und wenn es dann nichts wird, ist es auch nicht so schlimm, einfach nicht so ängstlich sein.

Danke.

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