4.6 009 ff. – Ein Motor ohne Kurbelwelle für interessante

Ein Resümee zu einem derart großen und lange andauernden Ereignis wie der Europäischen Kulturhauptstadt 2009 fällt selbstverständlich ambivalent aus. Der Begriff der Nachhaltigkeit spielte bereits in der Vorphase von Linz09 eine große Rolle im kulturpolitischen Diskurs und wird auch eineinhalb Jahre später von vielen Interviewpartner_innen in ihren Antworten verwendet. Dabei herrscht überwiegend Einigkeit, dass das Europäische Kulturhauptstadtjahr zu wenig bis keiner Nachhaltigkeit geführt habe, kaum etwas übrig geblieben und vieles schnell in Vergessenheit geraten sei, wobei konkrete Nachfragen ein differenziertes Bild liefern. Das Fehlen einer umfassenden, nachhaltigen Strategie wird bemängelt, auch dass es viel zu wenig gelungen sei, einzelne Impulse in der Zeit nach Linz09 in das “reguläre Programm” überzuführen und eine Fortführung von Projekten längerfristig sicherzustellen.

So wird auch von einem einmaligen Ausnahmezustand gesprochen, einem in manchen Teilen interessanten Feuerwerk oder einer großen, ein Jahr andauernden Party, noch kritischer auch von einer Festivalisierung des kulturellen Angebots und einer eventbasierten, massenwirksamen Marketingveranstaltung. Linz09 habe allerdings gezeigt, dass Kunst und Kultur für eine Stadt wichtig sind, weshalb auch beträchtliche finanzielle Mittel dafür aufgewendet wurden. Eine Schwierigkeit wird darin gesehen, ein annähernd gleiches Niveau danach aufrecht zu erhalten, was beinahe zwangsläufig zu Enttäuschungen und Frustrationen führt. Auch die Worte “Stagnation” und “Erschöpfung” fallen in den Interviews.

INFO

Facts & Figures zu Linz09: [9]

  • Besucher_innen insgesamt: 3.483.000, davon 2.903.000 im Kulturhauptstadtjahr 2009
  • 5.000 Künstler_innen aus 66 Nationen in 220 Projekten und 7.700 Einzelveranstaltungen
  • 738.555 Nächtigungen im Jahr 2009 und somit plus 9,5 % Zuwachs gegenüber 2008
  • Gesamtbudget: 68.767.000 Euro, davon ca. 4.000.000 Euro Finanzsponsoring

Quer dazu wird jedoch vielfach auf einzelne Aspekte hingewiesen, die eine positive Beurteilung von Linz09 ermöglichen und – auch wenn dies entgegen der allgemeinen Einschätzung einer fehlenden Nachhaltigkeit etwas paradox klingen mag – nachhaltigen Charakter aufweisen. In erster Linie wird dabei mit den Neubauten im Kunst- und Kulturbereich argumentiert, dem Südflügel des Schlossmuseums, dem angekauften und renovierten Atelierhaus Salzamt oder dem Um- und Neubau des Ars Electronica Centers.

Sehr oft wird auch auf das vielfältige Angebot im Kulturhauptstadtjahr hingewiesen. Gelobt wird der Mut, neue Formate zu wagen und neuartige Projekte zu initiieren. Einzelne der Projekte werden immer wieder genannt, allen voran der Überraschungserfolg “BELLEVUE – Das Gelbe Haus”, dies auch in Zusammenhang mit notwendigen und überfälligen Impulsen für die Stadtteilkulturarbeit in Linz.

Kleinere Interventionen im öffentlichen Raum wie “In Situ” oder “Der kranke Hase”, Theateraufführungen an ungewöhnlichen Orten unter Brücken, im Volksgarten oder in Bussen, verbindende und interdisziplinäre Projekte wie das Brauhaus, die Hörstadt, das Festival 9 vgl. Linz 2009 – Kulturhauptstadt Europas OrganisationsGmbH 2010, S. 94 ff. der Regionen, Literaturprojekte im StifterHaus oder der Kepler Salon, ungewöhnliche Projekte wie Pixelhotel oder die Subversivmesse, neue Formate in der Kulturvermittlung wie “I like to move it move it” und die Kulturlotsinnen sind ebenfalls in Erinnerung geblieben und werden hervorgehoben. Mehrfach positiv erwähnt wird, dass es teilweise im Theater- und Musikbereich gute Aufführungen gegeben habe und es hier zu Impulsen gekommen sei, wobei dabei die Nachhaltigkeit von einigen Interviewpartner_innen eher kritisch beurteilt wird. Gerade im Musikbereich wird mehrfach negativ angeführt, dass vor allem im popkulturellen und experimentellen Zusammenhang zu wenig passiert ist. Positive Erwähnungen finden einzelne Ausstellungen, insbesondere der “Höhenrausch” und die Fortführung mit “Höhenrausch 2”, vereinzelt auch “See This Sound” im Lentos oder die “Kulturhauptstadt des ’Führers’ ” im Schlossmuseum. Kritisiert wird von einigen Interviewpartner_innen, dass angekündigte und bedeutende Projekte wie “Heiliger Berg” nicht realisiert wurden.

Die Einschätzung, dass Linz09 dazu beigetragen hat, die Wahrnehmung von Kunst und Kultur in der Bevölkerung zu steigern und eine Sensibilisierung für kulturelle Themen herbeizuführen, teilen viele der interviewten Personen. Die Menschen seien dazu bewogen worden, mitzumachen (z. B. im Rahmen der Klangwolke), bei vielen Linzer_innen sei die Neugierde auf Kunst und Kultur geweckt worden und einzelne Bereiche wie etwa der Handel oder das Gewerbe, die vorher nicht enger mit Kunst und Kultur in Berührung gekommen sind, schätzen dies mittlerweile. Linz werde nun auch außerhalb stärker als Kulturstadt wahrgenommen, zumindest in Österreich oder in einzelnen Fachkreisen und sei in dieser Hinsicht selbstbewusster geworden.

Breiten Raum in den Antworten nimmt die Wahrnehmung der Enttäuschung von lokalen Künstler_innen und Kunst- und Kulturinitiativen aufgrund der mangelnden Einbindung bei Linz09 ein. Es habe wenig Beteiligungsmöglichkeiten für die Freie Szene, Galerien oder Kunstvereine gegeben, der kommunikative Umgang seitens der Intendanz mit dem Großteil der lokalen Kunst- und Kulturschaffenden wird als geringschätzend bezeichnet, Streitigkeiten wie etwa mit dem Theater Phönix hätten zu einem schlechten Klima geführt. Die fehlende Entwicklung dieser Potenziale vor Ort wird als vertane Chance eingestuft.

Ein mehrfach geäußertes Resümee bezieht sich auf die Verstärkung der Kooperationen zwischen den Kultureinrichtungen des Landes Oberösterreich und der Stadt Linz sowie zwischen diesen Einrichtungen und dem Tourismus. Gemeinsame Themen würden nun institutionenübergreifend bearbeitet, etwa das Thema “Natur”. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wird in mehreren Interviews positiv hervorgehoben. Andererseits wird mehrfach kritisiert, dass andere wichtige Themen, die in der jüngeren Vergangenheit der kulturellen Entwicklung der Stadt Linz eine besondere Bedeutung gespielt haben, nicht ausreichend besetzt und weiterentwickelt wurden, insbesondere der Themenkomplex Gestaltung mit Design und Architektur. In den Raum gestellt wird auch mehrmals die Frage, ob eine stärkere Konzentration auf den Bereich der Neuen Medien und Technologien nicht zielführender gewesen wäre.

INFO

In der Ex-Post-Evaluation für die Generaldirektion Bildung und Kultur der Europäischen Kommission wird Linz09 als erfolgreiches Beispiel für die Erreichung der Ziele von Europäischen Kulturhauptstädten, festgelegt in Artikel 1 und 3 des Beschlusses 1419/1999/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999, erwähnt:

„The overall objectives of the ECOC [Anm.: European Capital of Culture] were generally met, in terms of positioning Linz as a contemporary cultural city (with a cultural offering that is very different to other Austrian cities such as Salzburg and Vienna), strengthening the local cultural sector, raising the city’s profile, improving the tourist ’offer’ and thus attracting more tourists, boosting local civic pride and building the networks and alliances to sustain momentum. As such, Linz can be considered a successful ECOC.“ [10]

Weitere resümierende Einschätzungen, die sich verdichtet in den Interviews wiederfinden:

  • Der sorgsame Umgang mit dem Budget (im Vergleich zu Graz03) und das Überbleiben von Restmitteln wird mehrfach positiv erwähnt.
  • Einzelne organisatorische Belange von Linz09 werden von einigen Interviewpartner_innen als mangelhaft eingeschätzt (zu freizügiges Intendantenmodell, zu steile Hierarchien, entstandene Parallel-Bürokratie, Mängel in der Kommunikation).
  • Die Phase vor Beginn wurde als inspirierend wahrgenommen, Aufbruchstimmung kam auf.
  • Die unzureichende Überführung des Know-Hows aus der Linz 2009 GmbH in die städtischen Strukturen wird kritisiert.
  • Es kamen mehr Tourist_innen in die Stadt, die touristischen Erwartungen wurden in dieser Hinsicht weitestgehend erfüllt.
  • Auf bestehende technische und organisatorische Ressourcen in der Stadt wurde teilweise zu wenig zurückgegriffen, diese dadurch nur ungenügend weiterentwickelt.
  • Auf einer individuellen Ebene konnten viele Kontakte nach außen geknüpft werden, wodurch es zu einem Schub an Internationalisierung gekommen ist.
  • Die politischen Entscheidungsträger_innen konnten nur teilweise davon überzeugt werden, dass Kunst und Kultur für die Entwicklung der Stadt von erstrangigem Interesse sind.

Fußnoten

  1. vgl. Linz 2009 – Kulturhauptstadt Europas OrganisationsGmbH 2010, S. 94 ff.
  2. McCoshan et al. 2010, S. 43
Dieser Beitrag wurde unter Grundlagenpapier veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.